Nikos erzählt… Vom Schlafzimmerschrank.

Nikos erzählt…. Geschichten von Kreta und anderswo.

Eines Tages stand der Entschluss fest: ein neuer Schlafzimmerschrank muss her! Der alte, der zurecht seinen Namen „alter Schrank“ trug, wurde entsorgt. Genauer gesagt, Tante Filareti meinte, dass in Heraklion viele diesen „alten Schrank“ gerne als „neuen Schrank“ nehmen würden und somit war dieser, nachdem die Entscheidung der Entsorgung gefallen war, innerhalb von wenigen Minuten schon an den Mann gebracht. In diesem Fall an die Frau, nämlich an Penelopi, die in der Parallelstraße der Trifitsou wohnt. Tante Filareti hatte morgens uns 10:00 Uhr die Kunde verbreitet, dass ein Schrank abzugeben wäre. Keine Stunde später stand nun Penelopi vor der Tür, gemeinsam mit Pandelis und Odysseus, ihren zwei Söhnen.

Das Problem war jedoch, dass der Schrank nicht eher weg sollte, als bis wir einen neuen besorgt hatten. Der Krisenrat war einberufen und Kostas meisterte es wieder einmal so, dass er beschloss, dass ich mit meiner Frau zu einem Möbelgeschäft gehen und dort einen Schrank kaufen sollte und er in der Zwischenzeit gemeinsam mit den Söhnen der Frau Penelopi den alten in seinen Einzelteile zerlegt, damit ein Transport ermöglicht werden kann.

Meine Frau meinte lediglich, dass sie doch selber zunächst einmal alle Wäsche ausräumen müsste und dass sie dazu eine gute Stunde brauchen würde.

Kein Problem, also setzten sich alle erst einmal hin, Kaffee wurde gekocht und Filareti hatte noch einige selbstgebackene Koulouria. Ich gebe es zu, zehn Minuten eingetunkt, wurden diese auch weich. Das Schlafzimmer ähnelte einem Kriegsschauplatz und auf dem Ehebett war bis zur Decke hin Wäsche gestapelt, die im „alten Schrank“ geschlummert hatte. Meine Frau meinte, sortieren tut sie sowieso erst dann, wenn der neue Schrank da wäre.

Richtung Knossos

Im Hof waren inzwischen drei weitere Nachbarn angekommen, die helfen wollten und Kostas übernahm die Organisation des Abbaus und des Transport. Meine Frau und ich machten uns auf den Weg Richtung Knossos, da an dieser Straße mehrere große Möbelgeschäfte heimisch waren.

Wir betraten das Möbelgeschäft Mitropoulos und schon im Eingangsbereich wussten wir, dass wir hier fündig werden würden. Eine sehr attraktive Mittdreißigerin begrüßte uns auf Englisch um, nachdem wir Kalimera gesagt hatten, auf Griechisch fortzufahren. Wir sagten, dass wir uns lediglich umschauen wollten und sie widmete sich einem jungen Mann der gerade den Laden betrat. Wir hörten wie sie: „Good morning, welcome.” flötete.

Der Laden war sehr großzügig angelegt, und große Möbelhäuser in Karlsruhe oder Stuttgart könnten nicht besser ausgestattet sein. Wir erreichten die Schlafzimmer- Abteilung und innerhalb von Sekunden wussten wir, der da vorne, der fünftürige weiße Schrank, wird unser neuer Schrank werden.

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Vassilis Papakonstantinou und Klaus Meine

Auf dem angebrachten Schild stand ein Preis, der durchgestrichen war, und von Hand ein viel günstigerer quer darüber. Im Schrank lag ein Zettel mit einem dritten Preis. Exakt in dem Moment als wir uns unterhielten, welcher Preis jetzt gelten würde, kam ein Mann, Ende Fünfzig, mit der Physiognomie eines Altrockers wie Vassilis Papakostantinou.

Wir fragten nach und er grüßte uns höflich. „Elate, kommt mit“, sagte er und führte uns in sein Büro, das mitten im Möbelhaus zwischen zwei Boxspringbetten eingerichtet war. „Na lass uns mal schauen“ fuhr er fort, und jedes Mal, wenn er im PC etwas gefunden hatte, streckte er die Faust wie ein Tennisspieler und schrie: „YES“. Das geschah so sieben bis acht Mal, bis ich ihm sagte, dass wir lediglich nur einen Schrank benötigen. Er erwiderte, das wäre ein Sondermodell mit vielen Extras und er würde jetzt prüfen, ob der Gesamtpreis inclusive aller dieser Accessoires wäre.

Nach dem zehnten „YES“ murmelte er etwas vor sich hin, griff zum Telefonhörer und fragte nach, ob er mit seiner Maus auf das Druckersymbol klicken müsste, um uns das Angebot des Schranks auszudrucken und die Stimme schien ihm beigepflichtet zu haben, so dass er nach einem erneuten “YES“ dieses tat und der Drucker mit der Ausgabe der Blätter begann. Es waren insgesamt vier Blätter, und unser Starverkäufer nahm jedes einzelne heraus, schaute es mit Sorgfalt an, um uns dann, nachdem er seine Altrockerhaare um sich geschüttelt hatte, das Komplettpaket vorzulegen.

Er machte uns darauf aufmerksam, dass es sich hier um einen Designerschrank der Firma XY aus dem Schwarzwald handelte und er deshalb im Preis reduziert sei, weil nächste Woche von einer Möbelmesse in Athen ein neues Modell kommen würde. Firma XY aus dem Schwarzwald, maximal 100 Kilometer von unserem Wohnort in Deutschland gelegen, ist bekannt für sehr gute Qualität. Meine Frau wie ich waren sehr angetan, nicht nur die Optik sondern auch der Preis waren so, dass wir nicht lange gefackelt haben und schließlich brauchen wir schnell einen Schrank, weil der „alte“ mit Sicherheit inzwischen bei Frau Penelopi wäre.

Agnostos, ein seltener Vorname

Bei nochmaliger Durchsicht des schriftlichen Angebots bemerke ich, wie oben rechts zu lesen war: „Verkäufer Drakopoulakis, Agnostos“.

„Sie haben einen schönen Vornamen,“ sagte ich zu unserem Verkäufer, „und so selten. Ich kenne sonst niemanden, der Agnostos heisst.“ Er stutzte, schmunzelte dann und erklärte, dass, obwohl er schon über zwanzig Jahre hier arbeitet, der IT-Spezialist seinen Vornamen nicht wusste, als vor wenigen Wochen zum ersten Mal ein EDV System eingeführt wurde. Deshalb war das entsprechende Feld automatisch mit dem Wort „agnostos“ (unbekannt) befüllt worden.
Wir nahmen uns dann schon die Zeit um zu überlegen, welche Vorteile so ein Vornamen hätte.

  • Bei der Polizeiwache: „Wer hat Sie überfallen?“ Antwort : Unbekannt
  • In der Schule: „Wer hat die Wände beschmiert?“ Antwort : Unbekannt
  • Auf dem Standesamt: „Wer ist der Vater Ihres Kindes?“ Antwort : Unbekannt
raki-und-musik
Yiamas

Für Statistiker unter uns sei noch erwähnt, dass der Schrank keine vier Stunden später abgebaut und bei uns im Schlafzimmer wieder aufgestellt wurde. Zwei Handwerker aus dem Möbelhaus, Kostas und ich saßen danach im Hof. Meine Frau ließ es sich nicht nehmen, den „neuen Schrank“ einzurichten. Wir tranken kretischen Raki und ließen uns von Quick, unserem „Lieblingsschnellfress“, Gyros, Souvlaki und sonstige Leckereien bringen. Die Monteure waren gerade dabei sich zu verabschieden, als es klingelte und unser neuer Freund Herr Unbekannt vor der Tür stand.

Eine neue Flasche Raki wurde geöffnet. Inzwischen hatte meine Frau, ich hab sie so unwahrscheinlich lieb, allein den ganzen Schrank eingeräumt und gesellte sich zu uns. Einige Zeit später, als die Gäste aufstanden, meinte Kostas: „Hey, wir haben tatsächlich drei Flaschen Raki geschafft.“ Die dritte nämlich brachten am späten Abend die Söhne der Frau Penelopi, die sich mit in die Runde setzten. Wer hat wohl das meiste getrunken? Die Monteure und wir riefen fast gleichzeitig: Unbekannt!

Kostas brachte alle zur Tür, schaute uns fröhlich an und meinte:

„Lieber Gott, wir haben nur ein Leben, danke dass ich es als Grieche leben darf“.

Euer Niko


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