Ein schallendes „όχι“ der Euro-Arroganz
KOMMENTAR | FLORIAN NIEDERNDORFER, 02. November 2011 16:06
Ministerpräsident Giorgos Papandreou pokert hoch – aber Demokratie lohnt sich jedenfalls.
Die Antwort auf das griechische Drama sollte nicht weniger Demokratie, sondern muss mehr Demokratie sein
Der Grieche an sich kann einem bisweilen schon mal spanisch vorkommen. Schüttelt er den Kopf und sagt „ναι“, meint er ja. Senkt er sein Haupt in Richtung Brustbein und sagt „όχι“, meint er nein. Verwirrend, jedenfalls für unsereins, die wir Sommer für Sommer mit unseren hart verdienten Euros zwischen Kreta und Korfu für blühende Landschaften sorgen. Und im April 2008 laut aufheulten, als der Nationalrat den Lissaboner Vertrag, der unsere Souveränität zugunsten eines großen Ganzen beschneidet, ohne Volksabstimmung durchwinkte. Und dann kommt ausgerechnet der Grieche, der Parias unter uns super sauberen Europäern, und lässt seine Bürger über ihr Schicksal selbst entscheiden, „ναι“ oder „όχι“ sagen.
Ja darf der denn das? Ja, er darf. Besser: er muss. Weil Demokratie bisweilen Risiko bedeutet, weil sie politischen Mutes bedarf und – die drohende Staatspleite und den Abschied aus der EU vor Augen – radikaler Visionen.
Krokodilstränen
„Aber die Märkte!“ schallt es seither allerorten, auf dem Börsenparkett, in Europas Staatskanzleien und von den Lettern des Boulevard, von überall dort also, wo sich Arroganz mit unterentwickeltem Demokratieverständnis paart. Von New York bis Hong Kong waren die Schockwellen zu spüren, die Giorgos Papandreou, von Europas Gnaden Ministerpräsident Griechenlands, mit seinem Bekenntnis zur Demokratie auszulösen vermochte. Zum ersten Mal seit 1974, als die Hellenen mit ihrem „όχι“ die Rückkehr der mit der Obristenjunta kollaborierenden Monarchie verhinderten, wird in Griechenland das Volk befragt.
Papandreou, der alte Fuchs, weiß genau, was er tut. Das Referendum, vermutlich im Dezember, wird de facto eine Abstimmung über Griechenlands Zukunft in der EU. Und es wird zugunsten Europas und Papandreous ebenso kathartischer wie alternativloser Sparpolitik ausfallen. Ein Schelm wer glaubt, dass sich nicht in allen 27 Mitgliedsstaaten genügend Bürger finden, die ihrerseits gerne über Für und Wider der EU abstimmen würden, aber an einer politischen Klasse verzweifeln, die über die Stimmung im Volk lieber drüberfährt, als ihr Ausdruck zu verleihen.
„Oχι“
Den einst stolzen Griechen, seit 150 Jahren von deutschem Adel und Besatzern, rechtsextremen Militärs und den nepotistischen Clans der Papandreous, Mitsotakis, Karamanlis und Venizelos beherrscht, verleiht ihr Ministerpräsident in der Stunde der höchsten Not ungekannte Würde.
Wenn es schon bergab geht mit Griechenland, dann sollen die Griechen selbst am Steuer sitzen. Papandreou, obwohl selbst Spross einer mächtiger Politikerfamilie, lässt Volkes Stimme sprechen. Der Sozialist bittet es um ein Mandat, das Land gegen alle Widerstände aus den eigenen Reihen und jenen der destruktiven Opposition mit der Hilfe Europas aus dem Schuldensumpf zu ziehen.
Mehr Demokratie als Antwort
Das Volk, trotz aller Schuld und Schulden der höchste Souverän, muss die Antwort geben, die weder Papandreou noch Athens verkrustete Politikerkaste geben können. Die Antwort auf die Krise epischen Ausmaßes, in der sich Griechenland und mit ihm die Idee Europa zweifellos befindet, kann nicht weniger Demokratie heißen, sondern mehr Demokratie. Auch wenn’s den Märkten noch so weh tut.
Wer sich das Primat der Politik über die Märkte und der Bürger über die Banker wünscht, darf angesichts des griechischen Referendums ruhig den Kopf schütteln. Aber nur, wenn man Grieche ist.
Quelle: (flon/derStandard.at, 2.11.2011)
Euro-Referendum: Wer hat Angst vor seinem Volk?