27.10.2012 -es gilt das gesprochene Wort-
Goethe ist in Feierlaune – er feiert dieses Jahr schon zum zweiten Mal Geburtstag: erst im August den 263. und heute wird er in Athen 60 Jahre alt. Goethe selbst sieht deutsche Kultur in griechischer Tradition. Er sagt: „Welche neuere Nation verdankt nicht den Griechen ihre Kunstbildung? Und, in gewissen Fächern, welche mehr als die deutsche?“
So sind wir gemeinsam mit dem Goethe-Institut nicht nur in Feststimmung, sondern wir sind auch unserem griechischen Gastgeber zu großem Dank verpflichtet. Hier, im Goethe-Institut Athen, begegnen sich seit 60 Jahren unsere Kulturen, begegnet deutsche Kultur der traditionsreichen Kultur Griechenlands. Das Goethe-Institut hat einen einzigartigen Raum für Austausch, Dialog und gegenseitige Inspiration geschaffen, in dem eine neue gemeinsam geformte Kreativität entsteht. Dafür möchte ich Ihnen, Herr Prof. Lehmann, und ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen an dieser Stelle meinen Dank aussprechen!
Die deutsch-griechischen Beziehungen sind seit Jahrhunderten eine Geschichte wechselseitiger Befruchtung. Die Wiederentdeckung der griechischen Antike war in der deutschen Geistesgeschichte eine Quelle der Erneuerung und der Hoffnung. Die Wiedergeburt des griechischen Staates haben insbesondere die freiheitlich und demokratisch gesinnten Deutschen als Zeichen für einen europäischen Aufbruch gefeiert. Deutsche Wissenschaftler, Künstler und Literaten haben wichtige Beiträge zur Rückbesinnung der Hellenen auf ihre Nation im Bewusstsein der großen klassischen Vergangenheit geleistet.
Über die Geschichte der deutsch-griechischen Freundschaft können wir indessen nicht sprechen, ohne uns an den tiefen Einbruch in der Zeit des Zweiten Weltkriegs zu erinnern und der immensen Leiden des griechischen Volkes unter deutscher Besatzung. Umso dankbarer sind wir bis heute dafür, dass die Griechen die ersten waren, die uns nach dem Krieg die Hand zum Neubeginn reichten. Die Einladung, hier in Athen das erste Goethe-Institut zu errichten, allen anderen weit voran, war Ausdruck eines Willens, die Freundschaft auf einem Fundament der Kultur neu aufzubauen. Dafür gilt dem griechischen Volk meine aufrichtige Anerkennung und Dankbarkeit.
Zweiundzwanzig Jahre nach dem Krieg wurde die deutsch-griechische Freundschaft mit dem Regime der Obristen vor eine neue Herausforderung gestellt. Viele Persönlichkeiten des griechischen Kulturlebens und des öffentlichen Lebens fanden damals Zuflucht in Deutschland. Hier vor Ort blieb das Goethe-Institut auch in jenen schlimmen 7 Jahren eine Stätte des freien Wortes und der freien kulturellen Entfaltung.
Aber lassen Sei uns nicht bei Glückwünschen und der Genugtuung über das in Jahrzehnten Geleistete verharren: Denn erneut stehen wir in Europa vor großen Herausforderungen: Der Herausforderung, nicht nur der Krise unserer gemeinsamen Währung zu begegnen, sondern auch der Gefährdung unserer Freundschaft. Dem zu begegnen ist nicht nur eine Aufgabe der Regierungen, sie richtet sich an uns alle als europäische Bürger. Und sie richtet sich auch an die Verantwortlichen unserer Kulturbeziehungen, wenn nicht an sie vor allem.
Den Griechen verdanken wir so viel an Kultur, Kunst, Philosophie. Auch eine tief in der freiheitlichen und demokratischen Polis verankerte Philosophie der Freundschaft. In seiner nikomachischen Ethik unterscheidet der große Aristoteles die bloße Nutzfreundschaft von der tugendhaften Freundschaft. Wir wollen Europa nicht lediglich als ein Bündnis zum gegenseitigen Nutzen. Denn Nutzfreundschaft, so Aristoteles, endet schnell dort, wo der Nutzen füreinander endet. Wir wollen ein Europa der tugendhaften Freundschaft, in der wir einander, so wie wir sind, als Bereicherung unseres eigenen Lebens empfinden.
Wir Deutsche wollen, dass Griechen und Griechinnen in einigen Jahren rückblickend sagen: In der Stunde der Not, da waren dann doch die Deutschen unsere zuverlässigsten Freunde!
Und wir Deutsche, wir wollen kein Europa ohne Griechenland!