„Syrtaki statt Marschmusik“, von Holger Czitrich-Stahl.

Von Holger Czitrich-Stahl, 14.06.2012

In drei Tagen werden die Griechen zum zweiten Male in diesem Jahr zur Wahlurne gerufen. Am 6. Mai straften die von Sozialabbau, Arbeitslosigkeit und Spardiktat gebeutelten und von den Parteien der nationalen Korruption entnervten Hellenen das alte politische System gründlich ab. Die Nea Dimokratia und die PASOK, die seit 1974 alle Regierungen stellten, fielen von rund 80 Prozent auf 32 Prozent, die linkssozialistische SYRIZA als ökosozialistisch-feministisches Wahlbündnis erhielt mit 16,7 Prozent ein sensationelles Wahlergebnis.

Angesichts der Zersplitterung des Parteiensystems kam allerdings keine Regierung zustande, was zur Ausrufung von Neuwahlen führte. Mindestens so sehr wie am 6. Mai wird es am 17. Juni zum Showdown über die Sparzwangspolitik der „Troika“ aus EZB, IWF und EU-Kommission kommen. Der SYRIZA werden rund 25-30 Prozent der Stimmen prognostiziert, ebenso der ND, so dass es auch dem aktuellen Wahlrecht entsprechend um die Frage geht, wer die stärkste Partei werden wird, denn immerhin erhält diese 50 „Bonus-Sitze“, was etwa 17 % der Stimmen entspräche, gratis hinzu. Für die Unterstützer des EU-Diktats, also für ND und PASOK, vielleicht die einzige Chance zur Mehrheitsbildung.

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Syrtaki statt Marschmusik

Ob die SYRIZA ihrerseits Koalitionspartner finden wird ist hingegen fraglich, denn die KKE verweigert sich jeder Koalition und spricht sich gar gegen SYRIZA aus. Sektierertum pur! Die Hängepartie in Hellas könnte sich fortsetzen. Das Volk wird dann nur noch eine seinen Interessen entsprechende Entwicklung mit den Mitteln der Massenaktionen herbeiführen können. Oder die ND und PASOK, die sich nach alter Gewohnheit der herrschenden Klassen längst ihren Protegées unterworfen haben wie schon 1941, 1946 und 1967, lassen das Militär aufmarschieren mit Duldung aus Brüssel und Berlin. Während ich hier auf der Chalkidiki die Sonne genieße, fallen also in Athen bald die Würfel. Athen würfelt für ganz EU-Europa.

Es geht auch um die Frage, ob Europa den Syrtaki tanzt oder nach Marschmusik salutiert und den neoliberalen Gleichschritt übt. Dieses Bild ist überhaupt nicht abwegig. Wer dem stolzen Volk der Griechen beim Tanzen zuschaut, muss die Leichtfüßigkeit der Tänzerinnen und Tänzer bewundern. Auf Fußsohlen schweben sie dahin, selbst der schwierige und endemisch-griechische 9/8-Takt macht sich aus, als sei er kinderleicht. Nun hingegen kommen die Besatzer aus dem Norden und verordnen den Hellenen den Marschrhythmus und den Gleichschritt. Welch eine Zumutung, die jede Kreativität und Lebensfreude in Knobelbechern erstickt.

So leben können die Griechen, die Spanier, Portugiesen und Italiener nicht und werden sie auch nicht. Sie werden den Nordlichtern ab dem 17. Juni vortanzen, dass es ihnen schwindelig wird. Europa braucht mehr Syrtaki und keine Marschmusik. Es soll nicht den Bankenchoral anstimmen müssen, das Hohelied der Oberpriester des goldenen Finanzkalbes. Es soll den Fado singen, nach dem Flamenco und dem Syrtaki tanzen. Europa kann nur weiterbestehen als Gemeinschaft, wenn es sich auf die Stärken seiner Mitglieder besinnt und nicht auf deutsche Kasernenrezepte.

In Griechenland entstand vor 2500 Jahren der Gedanke der Demokratie. Heute beginnt in Griechenland der Kampf um seine Verteidigung. Selbst bei einem Sieg der Koalition aus ND und PASOK ist das Ende der Spardiktatur abzusehen. Die Franzosen werden mithelfen und nach ihnen Andere. Während ich hier die Sonne genieße, blicke ich nach Osten und sehe den Heiligen Berg Athos. Im Westen erkenne ich den Olymp. Und in Thessaloniki und anderswo sieht man ausschließlich Plakate der SYRIZA, der KKE und anderer Linkskräfte. Die Zukunft Europas – sie wird links sein. Die Götter des Olymp oder der ewige Gott des Athosberges, sie wissen: Syrtaki befreit, wo Marschmusik unterdrückt.

(Geschrieben in Metamorfossi/Sithonia auf der Halbinsel Chalkidiki)

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