„Das große Fressen“ – Als Griechenland noch keinen Massentourismus hatte.
Autor: Dimitris Kampourakis
Die Fundamente des heutigen Massentourismus in Griechenland legten vor einem halben Jahrhundert einfache Menschen, denen es jedoch nie gedankt wurde.
Jedes Mal, wenn ich die Olga (Kefalogiannis) sehe (Anmerkung: gemeint ist die Ministerin für Tourismus), wie sie sich freut, wenn sie über Millionen Touristen berichtet, die das Land besuchen werden, und auf den jedes Jahr erzielten Rekorden ihre Karriere aufbaut, überkommt es mich, sie an ihrem Designer-Kragen zu packen und ihr zu sagen:
“Weißt Du, gute Frau, wem Du die heutigen Erfolge verdankst? Dem, der den Beton für die Fundamente des Gebäudes goss, das wir heute die Schwerindustrie des Landes nennen. Meinem Onkel Giannis. Jawohl. Und damit Du nicht meinst ich würde nur schwätzen, sollst Du wissen, dass dieser Beton im August 1969 oder 1970 gegossen wurde, als plötzlich fünf Touristen im Dorf auftauchten.“
Der Tourismus auf Kreta vor einem halben Jahrhundert
Erforderliche Parenthese: Der Begriff des Tourismus war auf der Insel Kreta des Jahres 1970 nicht unbekannt, jedoch etwas, das von dem Alltag oder der gewerblichen Aktivität der Menschen – speziell der auf dem Land – weit entfernt war. Für die Einheimischen sprachen alles Touristen “ausländisch”, außer wenn einmal ein Schwarzer auftauchte, der sprach dann “negerisch”. Die Dorfbewohner teilten sie in zwei Kategorien ein:
Die erste Kategorie umfasste die Langhaarigen mit den geschulterten Rucksäcken, die sogenannten “Yeahyeahs”, für welche die Einheimischen nicht den geringsten Respekt hegten. Die Wahrheit ist, dass jene Blumenkinder per Anhalter reisten, in Schlafsäcken an den Stränden übernachteten, ihre Wasserflaschen aus den Quellen füllten und die Gemüsegärten, Weinberge und Feigenbäume der Leute heimsuchten, um satt zu werden. Das einzige was sie kauften, war Wein.
Ihrer Invasion wurde mal als einem merkwürdigem Ereignis mit ängstlichen Anflügen vor der Auflösung der uralten Sitten und mal als offensichtlicher Verrücktheit diverser Schmarotzer vom anderen Ende der Welt begegnet, die anstatt zu arbeiten den ganzen Tag lang in der Sonne lagen und knutschten. Und ihre Anzahl erschien damals nicht groß, wäre mit den heutigen Größen des Massentourismus nicht vergleichbar gewesen. Jedenfalls waren die “Yeahyeahs” in der Küstenzone versammelt und hatten keinerlei Grund, sich ins Inland zu begeben und bis zu unseren Dörfern zu gelangen.
Die zweite Kategorie waren die reichen Touristen, die sogenannten “Amis”, unabhängig davon, ob es Schweden, Franzosen, Amerikaner oder Australier waren. Von diesen wussten die Einheimischen vom Hörensagen, bekamen sie jedoch nie zu sehen. Sie wohnten im Xenia-Hotel, das der alte Karamanlis auf dem venezianischen Wall errichtet hatte, speisten in dem einzigen Luxusrestaurant der Stadt, an dem die Dörfler sich nicht einmal außen vorbeizugehen vorzustellen vermochten, wurden mit Charterbussen befördert, gingen sich nur die “Steine” (sprich die Altertümer) ansehen und bewegten sich allgemein auf einem anderen Planeten als dem unsrigen.
Als sich zum ersten Mal Touristen in das Dorf verirrten
Folglich galt es als außerordentlich bemerkenswertes Ereignis, als an jenem Nachmittag vor dem Kaffeehaus meines Onkels Giannis ein Auto mit fünf Touristen auftauchte. Die Weinlaube im Vorhof des Kaffeehauses lag zur Straße hin und die Leute hielten offensichtlich zufällig in dem Glauben an, das Kaffeehaus sein ein Restaurant. Wer weiß, wie viele Stunden und warum sie auf den Provinzsträßchen der Präfektur Chania herumirrten, jedenfalls waren sie mittleren Alters (keine abgebranntes junges Gemüse), mit geschnittenen Haaren (keine langhaarigen Yeahyeahs), normal gekleidet (ohne Flicken auf ihrer Kleidung und Talismane am Hals) … und offensichtlich hungrig. Von sämtlichen Gästen des Kaffeehauses wie exotische Affen gemustert erklärten sie mit allen möglichen Gesten meinem Onkel, der sich erhoben hatte um ihnen entgegen zu gehen, dass sie etwas essen wollten.
Ich weiß nicht, ob der Geschäftssinn meines Onkels oder die uralte kretische Gastfreundschaft der Grund war, jedenfalls beschied er ihnen mittels Gesten, sie sollen Platz nehmen und er werde ihnen bringen, was gerade da sei. Ich weiß nicht, was sie ihrerseits verstanden, jedenfalls machten sie es sich an den beiden von ihnen zusammen geschobenen Tischen bequem und ließen meinen Onkel und meine aus dem Haus herbeigeeilten Tante gewähren. Das Kaffeehaus – parallel auch Lebensmittelladen und Metzgerei – war ein einheitliches System mit dem Haus der Familie, und zu jener Zeit war die Möglichkeit eines landwirtschaftlichen Haushalts auf Kreta, fünf an seiner Haustür “aufgeschlagene” Personen aus eigenen Mitteln zu verköstigen, eine leichte und übliche Sache.
Das große Essen
Wegen der sich in den Augen der Touristen widerspiegelnden fortwährenden Überraschungen, während sie sahen, wie ihnen ihr Essen serviert wurde, erinnere ich mich unglaublich detailliert an jenes Abendessen. Es kam ein (selbstgebackenes) Brot, eine riesige Schüssel Salat, mit Tomaten (aus dem eigenen Gemüsegarten), Gurken (ebenfalls aus dem eigenen Gemüsegarten), Paprikaschoten (dito), Portulak (von der gegenüber liegenden Böschung), Basilikum (aus den Blumentöpfen im Hof) und reichlich Öl (natürlich ihrem eigenen). Ein Teller (ihres eigenen) Greyerzer (Hartkäse), ein Teller Frischkäse (von meiner Tante zubereitet), zwei, drei Arten Oliven (aus den Fässern des Hauses), fünf, sechs Spiegeleier (von ihren eigenen Hühnern) und einen Berg Bratkartoffeln (aus ihrem zweiten Gemüsegarten). Ebenfalls eine Platte mit gedünstetem Kaninchen mit Zwiebeln (Rest des Mittagessens der Familie), eine große Pfanne gebratener Leber (von dem Lamm, das mein Onkel geschlachtet hatte um es als Metzger zu verkaufen) und natürlich roten Wein von seinem eigenen Fass.
Ich wette, er wird ihnen auch andere Dinge serviert haben, die ich vergessen habe, ich erinnere mich jedoch sehr gut an die Ausrufe der Begeisterung der Touristen, während sie sich wie Verhungernde über diese Fülle authentischer Hausmannskost hermachten. Die Gäste des Kaffeehauses schauten ihnen zu und kommentierten jede ihrer Gesten oder Grimassen, ohne zu wissen, dass in jenem Augenblick vor ihren Augen das in Erscheinung trat, was später den meisten ihre Kinder eine Arbeit sicherstellen würde – nämlich der Tourismus. Eine gewisse Unruhe kam auf, als sie ihre Sprache hörten, da das von ihnen gesprochene Deutsch Erinnerungen aus der Besatzungszeit aufleben ließ. Alle Gäste des Kaffeehauses waren 1941 – 45 Kinder oder Jugendliche und zogen ihre Augenbrauen zusammen, als sie die nasale Sprache vernahmen, als mein Onkel sie fragte “German, German?” erhielt er jedoch die Antwort “no German, Austrian”. Ich weiß nicht, ob sie die Wahrheit sagten oder logen, jedenfalls hatten die Dorfbewohner mit den Österreichern kein Problem, und das Abendessen wurde mit zuckerüberstreuten gebratenen Teigtaschen mit süßem Quark und Minze vervollständigt. Als der Moment für das Obst kam, zog mein Onkel eine Leiter in die Mitte des Hofs, stieg hinauf und schnitt zwei Reben von dem Weinstock ab (daher erinnere mich daran, dass es August war), wusch und servierte sie mit (selbstgebranntem) Traubenschnaps (Tsikoudia).
Und nun die Rechnung, bitte ….
Nachdem die Touristen sich den Bauch vollgeschlagen hatten, verlangten sie die Rechnung. Mein Onkel kratzte sich verlegen am Kopf und vermochte offensichtlich nicht, einen Preis für seine Dienstleistungen und die angebotenen Produkte zu bestimmen. Er war niemals für serviertes Essen bezahlt worden. Weil auch er ein Liebhaber von Essen und Trinken war, wette ich darauf, dass er zwischen Bezahlung und “geht auf das Haus” schwankte, schließlich sah er jedoch die übrigen Dorfbewohner an und stellte unter offensichtlichem Zögern das Thema zur Diskussion, als ob er sich schämen würde: “Die wollen eine Rechnung. Was soll ich denn nun also von ihnen nehmen?” Jeder nannte einen Preis, vom niedrigsten bis hin zum Wucher, nicht die Kosten der Speisen berechnend, sondern analog dazu, wie er die finanzielle Situation der vollgefressenen Touristen einschätzte. Mein Onkel entschied sich schließlich für einen Mittelwert und sagte ihnen mit einem Stocken in der Stimme, “geben Sie vierzig ‘Franken’”. Natürlich meinte er Drachmen und nicht etwa französische Francs oder schweizerische Franken, und damit die Touristen es verstehen, schrieb er den Betrag mit einem Bleistift auf den metallenen Tisch. Sie zahlten, lachten dabei lauthals, bedankten sich, grüßten und fuhren weg.
Etwas später kam ein anderer Dorfbewohner, der für einige Zeit “Gastarbeiter” in Deutschland war, in das Kaffeehaus (ob Sie es glauben oder nicht, auch er war ein Onkel von mir) und fand die Gäste über das erste Erscheinen von Touristen in dem Dorf diskutierend vor. “Schade, dass Du nicht da warst, Nikoli“, sagten sie zu ihm, “dann hätten wir uns mit den Leuten verständigen können“. Wie es also das Gespräch brachte, fragten sie ihn, ob er sich vorstellen könne, warum sie beim Weggehen lachten. “Wie viel hast Du von ihnen verlangt” fragte er, und als er von den vierzig Drachmen hörte, schüttelte er seinen Kopf und erklärte: “Wenn Du unsere vierzig Drachmen in Mark umrechnest, kaufen sie mit diesem Betrag in Deutschland ein Päckchen Zigaretten. Deswegen lachten sie.“
Ungefähr so wurde die Basis für die Schwerindustrie unseres Landes gelegt, und dies war der Beitrag meines (Familien-) Clans zu diesem großen nationalen Abenteuer. Leider haben wir jedoch keinen Staat, der diese Dienste anerkennt und Denkmäler für all die “unscheinbaren” Leute dieses Landes wie Giannis errichtet, die begannen, die berühmte Regel “value for money” in “value without money” umzuwandeln.
(Obwohl finanztechnisch nicht korrekt, erlaube ich mir, willkürlich zu sein und den sehr viel Jüngeren mitzuteilen, dass die vierzig Drachmen, für die sich fünf Deutsch-Österreicher vollfraßen, heutzutage ungefähr 11 Euro-Cents entsprechen.)
(Quelle: Protagon.gr, Autor: Dimitris Kampourakis). Zuerst erschienen beim gut informierten griechenland-blog.gr.
Tourismus heute
Olga Kefalogiannis aus Rethymno, die griechische Tourismusministerin, setzt auf Qualitätstouristen. In einem Interview sagte sie neulich, dass Gäste in Griechenland ca 650€ während ihres Urlaubes ausgeben. In anderen Länder werde aber über 800€ ausgegeben. Diesen Mehrwert (den „besseren“ Touristen) wolle man nach Griechenland locken.
Dann, liebe Olga, fange doch einfach mal selber mit Qualitätstourismus an. So wird eine Sandale draus.
Die Ministerin für Tourismus Olga (Kefalogiannis) und das HELLENIC REPUBLIC
MINISTRY OF CULTURE AND TOURISM GREEK NATIONAL TOURISM ORGANISATION sollte soviel Anstand haben und den Touristen und Bürgern, welche eine Problemmeldung senden, eine Antwort zukommen lassen. Auch sollten sie erstmal die Missstände des Tierschutzes in den Griff bekommen, bevor sie von vielen Touristen fantasieren. Zum Glück wird jede Person mal durch eine andere abgelöst, so wie der Bürgermeister von Ierapetra, welcher gegen Sterilisationen der Tiere ist.
Laut der Ansicht von Olga wird der Tourist nur als Geldlieferant angeschaut. Zu mehr ist er nicht gut.
Bruno