Thomas Brandl aus Thessaloniki, Stuttgarter-Zeitung.de
Thessaloniki – „So, aus Deutschland seid ihr . . .“ – „Genau! Gute Freunde kommen dann, wenn es dir schlechtgeht.“ Ein Satz genügt, um Jorgos, den Autovermieter am Flughafen von Thessaloniki, ein breites Grinsen ins Gesicht zu zaubern. Deutsch-griechische Verstimmung, Frau Merkel als Feindbild eines ganzen Volkes? Die Realität in Hellas ist dieser Tage weitaus differenzierter. Die Zahl der deutschen Touristen stieg im vergangenen Jahr um elf Prozent. Für 2012 sind die Erwartungen etwas verhaltener.
Kein Zweifel: Die Griechen durchleben gerade schwierige Zeiten. TV-Bilder von gewalttätigen Demos in Athen schrecken Touristen ab. Wer trotzdem kommt, hilft dem Land. Was hätten wir alles verpasst, wären wir den Warnungen vieler Freunde zu Hause gefolgt und nicht zur Genießertour auf die Halbinsel Chalkidiki im Norden von Griechenland gefahren? Buchten mit weißem Sandstrand, Pinienwälder auf Sithonia, dem mittleren (und schönsten) der drei „Finger“ der Chalkidiki, Baden und Schnorcheln in glasklarem Wasser, gute Küche, hervorragende Weine. Und – den gegenwärtigen Spannungen im griechisch-deutschen Verhältnis zum Trotz – überraschend freundliche Menschen. Nur die Mönche am „Heiligen Berg“ Athos halten Distanz zu den Touristen – ganz egal, woher die kommen. Ohnehin dürfen dort übrigens ausschließlich Männer hin – Frauen dürfen Athos nicht besuchen.
Vom Unwetter zum Joint Venture mit göttlichem Beistand
Als Evangelos Tsantali, Gründer des gleichnamigen Weingutes in Agios Pavlos auf der Chalkidiki, 1973 als Pilger auf dem Berg Athos, dem östlichen der drei „Finger“, in ein Unwetter geriet und bei den Brüdern vom Kloster Metochi Chromitsa Unterschlupf suchte, konnte niemand ahnen, dass daraus einmal ein Joint Venture mit göttlichem Beistand werden sollte.
Fast 100 Hektar in schönster Aussichtslage stehen dort heute wieder unter Reben und werden von Tsantali-Mitarbeitern gepflegt. Filemon, ein russischer Mönch, dessen roter Bart längst grau geworden ist, und seine fünf Mitbrüder halten sich aus dem Weinbau raus und genießen ihr kontemplatives Leben. Weil Metochi Chromitsa eine Außenstelle des russisch-orthodoxen Hauptklosters Panteleimon ist, waren die Herren Putin und Medwedew auch schon da. Als Kontrast dazu hängt im Gästezimmer eine Fotografie der letzten Zarenfamilie. Vermutlich steht sie Väterchen Filemon weitaus näher als der heutige Kreml-Herrscher.
„Unsere griechischen Weine sind einzigartig, aber noch nicht so bekannt in der Welt“
Tsantali, einer der größten Erzeuger im Land, steht ein Stück weit für das griechische Weinwunder der vergangenen zehn Jahre: Wo früher Massenweine im Zwei-Liter-Bembel das Bild prägten, setzt man heute auf höchste Qualität, niedrige Erträge und heimische Rebsorten wie Limnio, Xinomavro, Krasato, Stavroto, Mavrudi, Athiri und Assyrtiko. Evangelos Gerovassiliou, der profilierteste Önologe des Landes, betreibt in Epanomi, nur wenige Kilometer vom Flughafen Thessaloniki entfernt, ein 60 Hektar großes Weingut. Daneben hat sich Gerovassiliou um die vom Aussterben bedrohte Rebsorte Malagousiá verdient gemacht: „Unsere griechischen Weine sind einzigartig, aber noch nicht so bekannt in der Welt. Wir müssen uns besser im Ausland verkaufen.“ Dazu hat jeder ein anderes Rezept: Im Restaurant Kiani Akti in Nikiti auf der Halbinsel Sithonia etwa serviert der Chef Asterios Meerbarben und Maifisch, dazu eine Auswahl an Meze-Vorspeisen und als Krönung einen ganzen Drachenkopf aus dem Backofen. Asterios hat lange Jahre in Wien gearbeitet – den Wiener Schmäh gibt’s deshalb gratis dazu. Als Wirt freut er sich über jeden Gast aus Deutschland: „Die haben wenigstens Geld, um es bei uns auszugeben.“ Bei den vielen Bulgaren und Serben, die seit ein paar Jahren die Strände der Chalkidiki bevölkern, ist das weit weniger der Fall.
Griechische Gastfreundschaft – auch in Zeiten wie diesen
Die Umrundung der Sithonia mit dem Wagen ist eine gemütliche Eintagestour, ausreichend Badepausen und Fotostopps inklusive. In Neos Marmarás lohnt sich der Besuch des Donnerstagsmarktes und anschließend in einer der drei Fischertavernen im benachbarten Hafen. Uns zieht es weiter nach Tristiníka, wo der schrullige Sotiris eine Taverne namens „Das verborgene Paradies“ sein Eigen nennt. Sotiris geht grundsätzlich barfuß und bewirtet seine Gäste mit freiem Oberkörper und reichlich Ouzo. Danach ist erstmal ein kühles Bad im Meer angesagt.
Der schönste Blick auf die Spitze der Halbinsel Athos mit dem 2033 Meter hohen „Heiligen Berg“ an der Spitze bietet sich vom Städtchen Sárti an der Ostküste von Sithonia: Wie ein Keil ragt der Riese aus dem tiefen Blau des Meeres empor. In Richtung Norden zweigen immer wieder Schotterwege von der Panoramastraße ab zu wunderbaren Buchten wie Porto Paradíso und Zográfou Beach. Den schönsten Strand hat für viele allerdings Karidi Beach in der Nähe des Villenviertels von Vourvouroú: weißer Sand, türkisfarbenes Wasser. Dass die Chalkidiki aber auch im bergigen Landesinneren ihre Reize hat, erleben wir bei einer Fahrt von der Hauptstadt Polígiros über Arnéa nach Stágira, dem Geburtsort von Aristoteles. Im Restaurant Tsoukalá im Bergdorf Varvára serviert uns Maria, die Tochter des Wirts, Rippchen vom freilaufenden Schwarzschwein aus dem Tontopf, Grillwürste, Krautsalat und das beste Zaziki seit Menschengedenken.
Weil morgen ihre Schwester Georgia heiratet, werden wir sogar ganz spontan zur Hochzeitsfeier eingeladen. Griechische Gastfreundschaft – auch in Zeiten wie diesen.
Viwl Spaß bei der Hochzeit! Wetter habt ihr ja 🙁