Das Beispiel zeigt, wie Werbung in einer deutschen Zeitschrift (Der Spiegel, 43/2000) Vorstellungen über andere Völker und fremde Kulturen innerhalb der eigenen Kultur aufgreift und sie für ihre spezifischen Zwecke instrumentalisiert (vgl. Schröder, 2001: 199).
Das Schlüsselbild, die Produktabbildung, ist in ein Foto hineinmontiert, das ein Urlaubsfoto sein könnte und Mittelmeer, Süden, Griechenland assoziiert: Man sieht eine blaue Tür in einer weißen Mauer (blau und weiß sind die Farben Griechenlands und assoziieren zugleich blaues Meer, blauen Himmel und weißen Sand), beides ist alt und trägt Gebrauchsspuren. Vor der Tür steht ein Stuhl mit geflochtener Sitzfläche, der nur auf die Alten zu warten scheint, die sich hier im Schatten niederlassen, um miteinander zu schwatzen oder zu schauen, was auf der Straße vor sich geht. Aus diesem Bild, das in gewisser Weise Stereotype über Griechenland aufgreift, fällt eine hineinmontierte Karte sofort durch ihre hellbeige Farbe ins Auge. Diese Karte, die an eine Memorykarte erinnert, enthält die Produktabbildung, einen Text als Zitat in Anführungszeichen und den Slogan „Ouzo 12. Griechisch hoch 12“. Dieser Slogan spielt auf die Abbildung auf der Flasche an: die 12 steht über dem Wort Ouzo wie eine Potenzzahl. Gleichzeitig will er auch vermitteln, dass nichts griechischer ist als dieser Anisschnaps. Am unteren Rand der Anzeige ist eine zusätzliche Information zu finden, die zugleich weitere Argumente für das Produkt liefert: „Ouzo 12 ist zweifach gebrannt. Da macht ihn so besonders mild und wertvoll“. Daneben gibt es noch ein Focus-Visual, das über Gewinnmöglichkeiten informiert.
In unserem Zusammenhang besonders interessant ist jedoch das Zitat auf der ‚Memorykarte‘ neben der Ouzoflasche: „Unpünktlichkeit ist kein Verlust an Zeit, sondern ein Gewinn an Muße.“ Dieser Satz spielt auf einen weiteren, dritten Bereich (neben Kulturstandards und Kommunikationsgewohnheiten) an, in dem es Unterschiede zwischen Kulturen gibt: den Umgang mit Zeit.
Wie eine Kultur mit der Zeit umgeht kann man unter anderem daran erkennen, welchen Zusammenhang ihre Mitglieder zwischen dem Grad der Aktivität und dem psychisch wahrgenommenen Vergehen von Zeit sehen. In den westlichen Industrienationen, v.a. in Nordeuropa und den USA ist Aktivität etwas Gutes. Nichtstun signalisiert Verschwendung der Zeit und Leere, selbst die Freizeit wird geplant und mit Ereignissen gefüllt.
In vielen anderen Kulturen besteht ein schwächerer Unterschied zwischen Tätigkeit und Nichtstun; auch das schlichte Dasitzen oder Warten wird als eine Tätigkeit angesehen (vgl. Levine, 1998: 76 f). Oft steht nicht die Erfüllung eines Zeitplanes im Vordergrund, sondern man wartet in Ruhe, was als nächstes passiert. Wird die Stille und die Muße geschätzt, ist sie keine vergeudete Zeit mehr. Das Nichtstun ist etwas Wertvolles und Sinnvolles, eine produktive und kreative Kraft.
Quelle: Ulrich Zeuner
Radio Kreta – Musik in Ruhe geniessen