Wann immer man sich mit Sprache beschäftigt – und das tut ja jeder mehr oder weniger kommunikative Mensch täglich – und es ist egal, ob es sich dabei um die Mutter- oder irgendeine Fremdsprache handelt – stolpert man doch immer mal wieder über Begriffe, die man noch nicht kannte. Sei es, weil man auch in seiner Muttersprache nun mal nicht alle Fremdwörter kennt, sei es, weil man auf seiner „Insel der Glückseligen“ einfach die absolut „trendigsten“ neudeutschen Wortschöpfungen verpasst hat.
Bis man dann bei verschiedenen Recherchen und Übersetzungen über ebendiese stolpert, weiter nachforscht, was es denn damit auf sich hat und es einem dabei dann einfach so schlecht wird, dass alles, was man damit verbindet raus muss, weil einem sonst die Galle überläuft.
Mein ganz spezieller und persönlicher Favorit der Woche ist der „Voluntourismus“.
Über diese wundervolle „denglische“ Wortschöpfung bin ich bei meiner Übersetzungsarbeit des aufrüttelnden Briefes einer Lehrerin von Lesbos gestolpert. Nicht so ganz arg doof, war mir schon klar, was sich vermutlich dahinter verbergen mag – ich wollte es aber genauer wissen. Und siehe da: ein neuer Trend der Tourismus-Industrie! Frei nach dem Motto „zahl viel Geld, fahr zu mehr oder weniger exotischen „Destinationen“, lass dich da kurz blicken, guck betroffen und tätschel ´nem Kind mal das Köpfchen (ach so, ja, die Fotos oder gerne auch „Selfies“ zur Dokumentation des eigenen Gutmenschentums auf keinen Fall vergessen!!!) – und dann ab zurück auf den Luxusdampfer oder in´s 5-Sterne-„Resort“.
Okay – soviel zu meinen persönlichen, nicht ganz zynismusfreien Interpretationen der Sache. Bitte nicht falsch verstehen: ich wäre nicht die beste Freundin meiner besten Freundin, wenn ich eine Arbeit, wie sie deren Papa jahrzehntelang als Agraringenieur für die GTZ (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit) in aller Herren (Entwicklungs-)Länder im Schweiße seines Angesichts geleistet hat, nicht von ganzem Herzen schätzen würde. Aber das war ganz ursprüngliche, ehrliche und sinnvolle Arbeit, wie z.B. in den unwegsamsten Regionen der Welt Brunnen zu bohren, da sauberes Wasser die absolute Grundlage für alle weitere Entwicklung, Hygiene, gesundes Essen etc. ist. Alles andere kommt später!
Und dann kam der „Voluntourismus“
Hier dann nun mal die etwas sachlichere Darstellung, bei der ich mir allerdings auch einige Kommentare nicht verkneifen konnte: Voluntourismus, auch Volunteerismus, Volunteerreisen oder Freiwilligenurlaub genannt, ist eine Reiseform, die die Mittelstellung zwischen Urlaubsreise und Freiwilligendienst einnimmt.
Der Begriff Voluntourismus setzt sich aus den Worten „Volunteering“ und „Tourismus“ zusammen und beschreibt eine neue und offensichtlich in diesen Zeiten recht „angesagte“ Reiseform. Die Reise an sich nennt man eine „Voluntour“ und den Reisenden demzufolge einen „Voluntouristen“. Entsprechend Interesse, Fähigkeit und Zeitrahmen absolviert der Reisende weltweit mehr oder weniger sinnvolle Arbeitseinsätze zur Verbesserung der gesellschaftlichen und ökologischen Verhältnisse am Einsatzort. Daneben nimmt er touristische Angebote in Anspruch (na klar, man ist ja schließlich auch zum Vergnügen da!). Die Dauer der Einsätze variiert stark – von einem Landgang im Zuge eines Kreuzfahrt-Stopp-Overs bis hin zu doch tatsächlich mehrwöchigen Aufenthalten. Voluntouristen verbindet das Ziel – oder besser der fromme Wunsch? – nachhaltig (aber bitte in kurzer Zeit!) etwas Gutes tun zu wollen. „Voluntourismus“ ist auf die Wünsche der Kunden zugeschnitten: Abenteuer, Exotik, Prestige, Sinnstiftung. Dummerweise meist nicht auf die „Empfänger“ dieser ach so altruistisch motivierten Aktionen…..
Voluntourismus gehört zur Gruppe der „alternativen“ Reiseformen, womit er sich (noch…) klar vom Massentourismus abgrenzt. Er weist Überschneidungspunkte mit anderen alternativen Reiseformen wie dem Ökotourismus, dem Aktivurlaub oder dem gemeindeorientierten Tourismus auf. Er orientiert sich stark an den Maximen der Ethik, des Umwelt- und Kulturschutzes – aber das ist, wie gesagt, lediglich eine Orientierung…. Voluntourismus ist nicht zu verwechseln mit dem reinen „Volunteering“, also der Freiwilligenarbeit, die organisierter, dauerhafter Natur sind und weniger touristischen Charakter aufweisen – denn bei Letzterer bleiben ja Spaß, zur Schau gestelltes „Gutmenschentum“ und die Selbstdarstellung an sich auf der Strecke….
Was sind nun die Reisemotive dieser Voluntouristen?
Voluntouristen bewegt im Allgemeinen das Ziel, „etwas Gutes tun“ zu wollen, „der Welt etwas zurückzugeben“, „überall einen kleinen Entwicklungsbeitrag leisten“ oder „sich selbst zu verwirklichen“. Die Authentizität des Umfeldes und das Fremde der fernen Kultur ziehen sie an. Mittlerweile können junge Menschen Freiwilligenarbeit im Ausland ganz einfach über Reiseveranstalter buchen. Weitere Beweggründe der häufig jungen Reisenden sind das Erlangen von Sprachkenntnissen oder Orientierung auf ihrem Lebensweg – sehr sehr selbstlose Motive, wie man sehen kann…. Naja, wenn´s Geld in die Kassen der Tourismusbranche spült….
Die Kritik am Voluntourismus bezieht sich auf verschiedene mögliche negative soziale, kulturelle, ökologische und ökonomische Aspekte der Reise:
- sozial: – ungleiche soziales Gefälle zwischen Reisendem und „Bereistem“ (ein schönes Wort, oder?) – mangelnde Sprachkenntnisse der Reisenden, mangelnde Qualifikation (z.B. für die Ausübung einer Lehrtätigkeit – aber wen kümmert´s – gibt es in Deutschland durchaus auch, von Griechenland gar nicht zu reden….)
- kulturell: – Konsum von Kultur und Authentizität („Menschenzoo“), Verlust der Einheimischen des Bezugs zu eigenen Traditionen und Ritualen
- ökonomisch: – Ausnutzen der Zahlkraft von „Voluntouristen“ – da hält sich allerdings mein Mitleid für die zahlkräftigen Gutmenschen in engen Grenzen….– und Mangel an Arbeitsplätzen für Einheimische durch kostenfreie Besetzung der Stellen durch Voluntouristen
- ökologisch: – Eindringen in sensible Lebensräume von Flora und Fauna, Ausstoß von CO² zum Erreichen des häufig fernen Urlaubszieles (nee, die laufen doch bestimmt alle barfuß an´s Ende der Welt, die sie grade noch eben mal retten müssen…)
In der Realität weisen viele dieser Angebote nämlich erhebliche Defizite auf – vor allem bei Kindesschutz und nachhaltiger Entwicklung. Zu diesem Schluss kommt eine gemeinsame Studie von TourismWatch mit der Kinderrechtsorganisation Ecpat Deutschland und dem Arbeitskreis Tourismus und Entwicklung in der Schweiz.
„Die Angebote orientieren sich in Bezug auf Tätigkeiten und Einsatzdauer vor allem an den Wünschen der Kunden und weniger an den Interessen und Bedürfnissen der Menschen im Reiseland“, so Antje Monshausen, Tourismusreferentin für TourismWatch. So würden Klischees von Armut und Unterentwicklung nicht beseitigt, sondern eher noch gefestigt.
Super Business-Idee!
Oft zahlen die Teilnehmer für ihren Freiwilligendienst mehrere Tausend Euro. Ein großer Markt, der absurde Blüten treibt: So ist laut der Studie auch die Nachfrage nach Projektbesuchen und kurzzeitigen Freiwilligeneinsätzen im Rahmen von Pauschal- und Rundreisen gestiegen. Selbst Kreuzfahrttouristen wird der Besuch von Kinderheimen oder sogar die kurzzeitige Mitarbeit während des Landgangs angeboten. Das gibt doch wieder schöne Fotos für´s Familienalbum, die Dia-Show mit Freunden und nette „posts“ auf Facebook!!!
Obwohl die meisten Angebote eine Tätigkeit mit Kindern vorsehen, verfüge kaum ein Veranstalter über umfassende Kinderschutzmaßnahmen wie beispielsweise die Forderung nach einem polizeilichen Führungszeugnis, bemängelt TourismWatch in der Studie. „Brot für die Welt“ fordert darüber hinaus einen sofortigen Stopp der beliebten Kurzzeiteinsätze in Kinderheimen. Aber sicherlich sind da auch ganz viele katholische Priester vor Ort, die ganz genau über das Wohl der Kinder wachen…. (sorry, aber manchmal werd ich einfach zynisch!).
Meine unmaßgebliche Meinung: orientierungslose Schulabgänger, frühberentete Lehrer und Beamte sowie sonstige Sinnfindungsreisende als Entwicklungshelfer machen sinnlose Kurztrips in´s Elend ausschließlich zur Beruhigung des eigenen Gewissens – und vielleicht noch für nette „Selfies“ mit „Eingeborenen“ und ein neues Thema zu Hause am Stammtisch….
Quellen: daserste.ndr.de, Wikipedia, Su Krueger
Karikaturen: Freund Klaus Stuttmann
Radio Kreta – konfrontiert mit Ungerechtigkeit, Dummheit und Ignoranz dann gerne auch mal schlecht gelaunt!
Und zu den Menschen, die wir hier nicht immer ganz freiwillig, aber doch sehr altruistisch auf Kreta betreuen, geht es hier.
Bald auch Hot Spots auf Kreta?
Wie der Gouverneur von Kreta mitteilt, sind auf Drängen der Regierung zwei Hot Spot Plätze auf Kreta vorgeschlagen worden. Zu einem der ehemalige amerikanische Stützpunkt in Gouves und zum anderen das Militärgelände um den Flughafen von Maleme.
Beide sind von Kreuzfahrtschiffen gut einsehbar. Gibt wohl dem Tourismus noch mehr Aufschwung. Wann diese Plätze zum Einsatz kommen, ist noch nicht bekannt.
Kleiner Nachtrag:
Zitat: „Bitte, wer also seinen Urlaub mal richtig sinnvoll verbringen möchte, der findet hier genau die richtige Arbeit.
Quelle: Tierärzte-Pool, Der Report, Ausgabe 17, Seite 8, rechte Spalte, letzter Absatz
Link: http://tieraerztepool.de/images/pdf/report17.pdf
Wenn ich solch einer Bitte nachkommen würde, wäre ich dann einer dieser „Voluntouristen“?
Hallo Su,
hmmmm… da steht: „… konfrontiert mit Ungerechtigkeit, Dummheit und Ignoranz dann gerne auch mal schlecht gelaunt!“
Frust ist ein denkbar schlechter Ratgeber, insbesondere bei solch einem Thema. Und ja, gut gemeint seitens mancher Helfenden und Hilfsbereiten ist nicht unbedingt gut gemacht. Durch die in dem o.a. Artikel stehenden Pauschalisierungen und teils unscharfen Abgrenzungen (von den Einzelfällen mit Kindern etc. mal abgesehen, da sind wir wohl einer Meinung) werden aber auch Personen und Organisationen angeprangert, denen nichts ferner liegt als das, was ihnen darin zum Vorwurf gemacht wird. Ich rede jetzt aber nicht von den erwähnten Reiseunternehmen.
Einer der aufgelisteten Aspekte, nämlich „Mangel an Arbeitsplätzen für Einheimische durch kostenfreie Besetzung der Stellen durch Voluntouristen“, war ja auch wohl ein (anfänglicher?) Vorwurf gegen die Aktivitäten des Tierärzte-Pools seitens der ortsansässigen Tierärzte.
Und zu den 2 Hot-Spots auf Kreta: Richten sich die Einwände jetzt lediglich gegen die Standorte oder (so zumindest mein unterschwelliger, subjektiver Eindruck des Geschriebenen) gegen die Errichtung auf Kreta überhaupt? Wenn nur ersteres: Wo denn dann?
Hallo Su, sehr interessantes Thema und ein sehr interessanter Artikel. Ich finde den Artikel aber ein wenig zu sehr pauschalisierend. Ich würde zwischen NGO und Freiwilligen Helfern unterscheiden. Die meissten NGO die weltweit irgendwo vor Ort sind verfolgen ersteinmal ihre eigenen Interessen, die Interessen einer Partei, Stiftung usw. Hilfe gibt es nur wenn du auch die Politik bzw. dich an die Regeln der NGO hälst. Die NGO sind schon zu einer Wirtschaftsindustrie und Macht geworden. Sie sind inzwischen auch oft der größte Arbeitnehmer vor Ort. Die ganze NGO-Arbeit ist zum Teil sehr sehr kritisch zu sehen.
Die Freiwilligen (gefällt mir besser als Volunteer) sind ja auch sehr unterschiedlich, auch die Beweggründe. Von Touristen die während ihrem wohlverdienten Urlaub einige Tage bei der Versorgung der Flüchtlinge helfen, z.B. auf Kos, Samos und Lesbos.
Oder Freiwillige die gleich ihren ganzen Urlaub, Freizeit, Geld opfern. Auch viele Zugezogene und Residenten auf den griechischen Inseln haben tolle Intiativen auf die Beine gestellt.
Oder die vielen Freiwilligen in Deutschland, Österreich und der Schweiz die Medikamente, Kleidung usw. sammeln.
Aber einen sehr wichtigen Aspekt hast du nicht erwähnt, das so gut wie alle Intiativen die Aufgaben/die Rolle des Staates übernehmen und damit entlasten.
Die NoBorder Kitchen Samos hat daraus ihre Konsequenzen gezogen und stellt ihre Arbeit zum 17.3. auf Samos ein „Es kann nicht sein, dass eine spendenfinanzierte Versorgung langfristig systemimmanent in politische Bestrebungen, die den der dort Aktiven konträr entgegenstehen, miteinbezogen wird.
Der zuvor improvisierte Notstand hat sich in einen geplanten und EU-finanzierten gewandelt. Es entspricht nicht den politischen Ansprüchen der Aktivisten vor Ort einen von Frontex und Militär geführten Hotspot zu unterstützen.“
vg, kv