Unter der Überschrift „Dieses Volk wird in den Hunger geführt. Ist so etwas partnerschaftliches Handeln?“ erschienen in Telepolis vom 30.03.2013.
Autor: unser Freund Wassilis Aswestopoulos
„Seine Heiligkeit Erzbischof Chrysostomos II, so der offizielle Titel, ist der am Meisten gesuchte Gesprächspartner in der kriselnden Inselrepublik. Regierungsmitglieder, Investoren und russische Unterhändler geben sich bei ihm die Klinke in die Hand. Er soll in letzter Sekunde retten, was noch zu retten ist und die Fehler der Politiker und Banker geradebiegen. Anders als die rein geistliche Rolle der griechischen Erzbischöfe oder des Papstes in Rom, hatte Zypern in jüngster Vergangenheit bereits einmal einen amtierenden Erzbischof als Staatschef. Es war Erzbischof Makarios, der sein Land von der Kolonie in eine unabhängige Republik wandelte und auch nach der türkischen Besetzung des Nordteils der Insel den Wiederaufbau maßgeblich in Gang brachte. Offenbar trauen viel Zyprioten ihrem aktuellen Kirchenvater eine gleiche Initiative zu.
Gleichzeitig gilt er im Land als letzte verbliebene moralische Instanz. Hinter ihm sammeln sich Zyprioten aller Parteien. Chrysostomos verkündet Hoffnung, einigt, obwohl er gern gegen den ehemaligen, nominell kommunistischen Staatspräsidenten, aber auch unter Linken umstrittenen Dimitris Christofias wettert und ruft zum kollektiven Wiederaufbau auf. Gleichzeitig sieht er den Grund allen Übels in der EU und dem Euro.
Trotz vollem Terminkalender gewährte er während seiner Mittagspause eine exklusive, zwanzigminütige Privataudienz in seiner Wohnung. Leger, ohne die offiziellen Gewänder, gab es für die Besucher ein traditionelles Fastenessen, bestehend aus einer Linsensuppe und lokalem Gemüse sowie Salat. Gut gelaunt ging es nach dem Essen zum offiziellen Teil über. „Wir wollten den Deutschen immer schon einmal die Leviten lesen“, scherzte er. Entsprechend seinem Rang spricht Seine Heiligkeit gern im Pluralis majestatis, ist jedoch stets freundlich und entspannt. Er sprach im typisch abgeschwächten zypriotischen Dialekt, mit dem die Insulaner den Festlandsgriechen die Verständigung etwas erleichtern.
Ihnen ist zum Lachen zumute, das stimmt optimistisch.
Erzbischof Chrysostomos II.: Es ist eher ein nervöses, bitteres Lachen, wegen des Vermögens, das wir verloren haben. (Es sind über 100 Millionen Euro,)
In Deutschland werde ich oft gefragt, wie die Kirche zu solch einem Vermögen überhaupt gekommen ist (geschätzt hat die zypriotische Kirche ein Vermögen von mehr als zwei Milliarden Euro).
Erzbischof Chrysostomos II.: Der Reichtum gehört nicht uns, er gehört dem Volk. Johannes Chrysostomos oder der heilige Vasileios sagten einst. „Wenn Du von der Höhe des Reichtums der Kirche hörst, erschrick Dich nicht, teile ihn durch die Zahl der Gläubigen und Du dann wirst Du sehen, wie viel davon einem Gläubigen entspricht. Und dann ist es sehr wenig.“
Ich habe seit Jahren, schon zu Zeiten des zypriotischen Pfunds, viel über das soziale Werk, die Armenspeisungen und die Geldgaben Ihrer Kirche gehört. Wie steht es nun damit?
Erzbischof Chrysostomos II.: Sehr oft, nicht nur jetzt, hat die Kirche nicht nur ihren Reichtum zur Verfügung gestellt, sondern wortwörtlich die Kerzenständer verkauft und auch die letzten Opferkelche und Evangelarien verpfändet, damit dem Volk geholfen, dem Volk gedient und Gaben geboten wurden. Das ist die Kirche, wie wir sie verstehen. Sie ist die wahrhafte Mutter dieses Volkes.
Sie wollten den Deutschen die Leviten lesen. Müssen sich nun die deutschen Touristen auf Zypern fürchten oder können Sie mir erklären, wem genau die Leviten gelesen werden sollen?
Erzbischof Chrysostomos II.: Niemand soll sich fürchten. Wir bedrohen niemanden. Wir drücken nur das aus, was wir fühlen, und daher verleihen wir unserer Bitterkeit Ausdruck, dass ein so winziges Land mit einer so kleinen Wirtschaft, die mit 17 Milliarden vor der Krise bewahrt werden könnte, Partnern gegenüber stand, die über Trillionen verfügen. Was sind die 17 Milliarden gegenüber den Trillionen der Staatshaushalte Europas? Und dennoch hat man uns auf den Boden gedrückt und unsere Wirtschaft erdrosselt. Damit wird dieses Volk in den Hunger geführt. Ist so etwas partnerschaftliches Handeln? Wir sind im Glauben an eine solidarische Partnerschaft in die EU eingetreten. Ist das nun ein Beistand? Ist das die Solidarität, die die Völker Europas untereinander haben müssen? Die Haltung unserer europäischen Partner ist sehr entmutigend für uns.
Seit ich das Geschehen beobachte, habe ich jedoch von keiner offiziellen Seite eine Stellungnahme erhalten, warum genau Zypern in die EU eingetreten ist. Sollte man dies nicht besser betonen und herausstellen, dass es einst politische und nicht wirtschaftliche Gründe waren? Brächte dies nicht eine bessere Verhandlungsposition als die ständige Betonung des armen Südens?
Erzbischof Chrysostomos II.: Nein, wir waren nie arm. Wir hatten eine blühende Wirtschaft. Wenn diese nun zusammengebrochen ist, dann liegt das vor allem an der kommunistischen Kultur des früheren Präsidenten (Christofias), der nach der Finanzkrise, die in den USA ihren Anfang nahm, keinerlei Maßnahmen ergriff. Die Krise griff auf Europa über und wurde auch in Zypern importiert. Es ist eine Krise, die von außen zu uns kam. Nicht nur, dass er keine Maßnahmen ergriff, er verschleuderte sogar die öffentlichen Mittel der Republik. So gab es für illegale Einwanderer Hilfsgelder, die höher waren als ein normales Monatsgehalt eines Zyprioten. Es gab überall Verschwendung.
Wieso klappt es mit den immer wieder angesprochenen Hilfen aus Russland immer noch nicht? Haben Sie eine Erklärung?
Erzbischof Chrysostomos II.: Wir haben eines noch nicht begriffen. Die Verhandlungskultur der Russen ist anders als die der Zyprioten. Wir sind dort so aufgetreten, wie wir es hier machen. Dabei hatte Russland eindeutig signalisiert: „Regelt die Sache zuerst mit der Troika und kommt danach zu uns.“ Das zwischenzeitliche Stocken ist eindeutig unsere Schuld. Nun jedoch möchten uns die Russen wirklich helfen. Ich habe eine offizielle Einladung nach Russland erhalten, werde mich aber vorher noch mit dem Präsidenten (Anastasiades) verständigen, weil ich keineswegs vor habe, dorthin mit leeren Händen zu reisen.
Sind Sie hinsichtlich einer Lösung optimistisch?
Ja ich bin persönlich sehr optimistisch, weil die sieben Jahrzehnte andauernde Gottlosigkeit Russlands dazu geführt hat, dass die Russen nun umso gläubiger sind. Worum immer sie die Kirche bittet, sie machen alles, um dies zu erfüllen.
Noch eine Frage. Am Zaun des Bischofssitzes sehe ich ein Banner. Dort steht etwas über zypriotische Geiseln in Deutschland. Es geht um 1974 während des Krieges geraubte Kirchenschätze, welche ein Türke in Deutschland feilbot. Bei mir drängt sich nun eine Parallele auf. Denn die Griechen pochen bekanntlich seit ihrem Gang zur Troika ebenso auf Kriegsentschädigungen wegen des Zweiten Weltkriegs. Wie sehen Sie das Verhalten der europäischen Partner in ihrem Fall. Gibt es eine Verständigung für die Rückgabe?
Erzbischof Chrysostomos II.: Ja, wir befinden uns in der erfreulichen Lage sagen zu können, dass ein (deutsches) Gericht bereits die Rückgabe von 170 Ikonen und weiteren Schätzen beschlossen hat. Der türkische Kunsträuber hat versucht, dagegen Einspruch einzulegen. Aber das Gericht legte ihm eine so hohe Garantiesumme auf, ich glaube es sind zwei oder drei Millionen, dass der Mann schlicht kein Geld hat, um eine Revision zu starten. Soweit ich weiß, läuft die Frist dafür in der laufenden Woche ab. Wir wurden informiert, dass wir die Schätze bald abholen können.
Daraus schließe ich aber, dass innerhalb Europas trotz aller geäußerten Kritik an der Politik, die Justiz immer noch eine wichtige und vorbildliche Rolle erfüllt.
Erzbischof Chrysostomos II.: Ich möchte glauben, dass die Justiz in der EU auf einem hohen Level arbeitet, Aber auch wir müssen dabei helfen. Auch in Zypern gibt es zum Glück einen Rechtsstaat. Es ist sehr selten, dass ein Richter eine Fehlentscheidung trifft. Wenn, dann liegt es meist an schlechten Rechtsanwälten.
Also hoffen wir auf eine Katharsis unter den schuldigen Politikern und einen konzertierten Wiederaufbau der Insel? Verstehe ich diese Botschaft richtig?
Erzbischof Chrysostomos II.: Die Zyprioten sind sehr fleißig, sie haben organisatorisches Talent, sie sind richtige Malocher. Es ist eine kleine Wirtschaft. Die kann sehr leicht aus der Krise heraus geführt werden. Das geht ebenso leicht wie der rasante Abstieg.“
Radio Kreta – Informationen aus erster Hand. Danke, Wassili!