Aus dem Leben einer Archäologin aus Leidenschaft im Land der Ausgrabungen.
Nera Ide schrieb diesen Artikel vor knapp 10 Jahren für „ChronoLogs“ – ein weiterer Beitrag, der weder einer gewissen allgegenwärtigen Aktualität noch eines erfrischenden Humors entbehrt. Willkommen im Leben in Griechenland, wo das „gewusst wie“ ein wichtiger Faktor ist, um seine Interessen durchzusetzen.
Gelesen, gelacht und gedankt!
„Ich bin Archäologin. Und da man heutzutage dahin geht, wo es ordentlich Arbeit gibt, bin ich nach Griechenland gezogen. Riester und Rente spielen hier keine Rolle, wohl weil es sich in der Altertumswissenschaft verbietet, Altersgrenzen festzulegen. Indiana Jones macht ja auch weiter; wie eine Kollegin von mir, die mit 92 Jahren immer noch eine Ausgrabung leitet. Sich mit richtig Altem zu befassen, scheint jung zu halten und buddeln macht fit. Wenn man so will, graben Archäologen froh und munter bis zum Umfallen.
Gerade Griechenland bietet Grabungen ohne Ende. Denn nicht nur für die antiken Gebäude sind hier die Ausgräber zuständig, sondern auch für Neubauten. Da in der vergangenheitsträchtigen Erde überall ein Tempel stecken könnte, müssen die Archäologen vor jeder Bebauung das Gelände sondieren. Sie sind es denn auch, erweist sich der Boden als säulenfrei, die letztlich die Baugenehmigung erteilen. Tauchen aber Relikte auf, versuchen die Bauherren schon mal – befinden wir uns doch im Vaterland der Bestechung – die Begutachter zu kaufen. Den Archäologen stellt sich nun die Frage: Reine Wissenschaft oder schmutziges Geld?
Das Dilemma
Wie es der Teufel, sprich Fortschritt, so will, bin ich kürzlich in eine Situation geraten, in der es genau um die Grundfrage der griechischen Archäologie geht. Ich wohne am Meer wie so viele Griechen, einfach weil dieses Land fast nur aus Küste besteht. Zwischen meinem Haus und dem Strand erstreckt sich ein Feld mit Weinreben.
Ein Idyll, bis vor wenigen Monaten Vermesser durchs Traubenfeld trampelten.
Was sie denn hier täten, wollte ich wissen. Den Bauplatz vermessen, das würde ich doch sehen, rüpelten sie ungriechisch zurück. Ich wurde hellhörig und freundlich.
„Bauplatz?“ säuselte ich. „Aber wer will denn hier schon bauen?“
„Das ist ein Topgelände, gute Frau!“ gab sich einer der Vermesser jovial.
„Ein Tortenstück für jede Hotelkette!“ trumpfte der andere auf.
„Aber wie? Was? Warum nur?“ stammelte ich.
„Das wird ein Spitzenhotel. Eine Wellness-Oase!“ erklärte der erste weiter.
Der Griff in die archäologische Trickkiste
Ich war sprachlos. Ich habe nichts gegen diese neuen Tempel der Körperkultur – außer sie verbauen mir meine schöne Aussicht. Um mir meinen Meeresblick zu erhalten, musste ich tief ich die archäologische Trickkiste greifen. Das heißt in meine Scherbenkiste, meine Schatzkiste, in der ich „Abfälle“ diverser Grabungen gesammelt habe. Tönerne Bruchstücke, die zu keinem anderen Bruchstück passen wollen. Scherben ohne Konterparts. Wissenschaftlich gesehen, Scherben ohne archäologischen Wert.
Ich greife mir eine Handvoll Brösel von hellenistischen Dachziegeln heraus, die ich im Schutze der Dunkelheit auf dem künftigen Bauland aussäe. Am nächsten Morgen rufe ich die Ephorie des Bezirkes an, das ist die Antikenverwaltung, die für die Untersuchung von Bauplätzen zuständig ist.
Tatsächlich rücken am frühen Nachmittag zwei junge Archäologen, frisch von der Uni an. Ich gebe mich nicht als Kollegin zu erkennen, weise aber nachdrücklich auf die Scherben hin.
„Aha“, sagen die nur und bücken sich nicht einmal. Der Hotelkonzern scheint vorgebaut zu haben.
„Könnten diese tönernen Fragmente nicht alt sein?“ hake ich nach.
„Die Keramik sieht mir ziemlich neu aus“, sagt einer der Archäologen mit einem Zwinkern zum anderen. Dann gehen sie.
Neu! – dass ich nicht lache, denke ich, na wartet ab! Jetzt hole ich mir aus meiner Schublade neuen alten Nachschub, ein paar der Scherben von attischen Vasen. Das sind die, die für die griechische Klassik schlechthin stehen, schwarz glasiert mit wunderschöner Malerei.
Ich rufe abermals die Ephorie an und die beiden Archäologen erscheinen wieder. Diesmal bücken sie sich, wiegen die Scherben in ihren Händen. Und in den Köpfen ihre Möglichkeiten ab.
„Die können nicht echt sein. Attische Ware hier?“ tönt der erste.
„Wahrscheinlich ein Souvenir, das es heute an jeder Ecke gibt und das hier zu Bruch gegangen ist“ sekundiert der zweite. Hier könne es nichts Altes geben, wiederholen sie wieder und wieder wie ein Mantra.
Ihr werdet schon sehen, denke ich. In der nächsten Nacht verteile ich behutsam Bruchstücke grauminyischer Ware auf dem Traubenfeld, mit das Kostbarste, was es an alter Keramik gibt.
Die ersten Mykener fertigten im 18. Jahrhundert v. Chr. diese feinen Gefäße aus Ton, deren Glasur wie Silber glänzt. Was es in der Bronzezeit auch sollte, da sich nicht jeder Mykener Silberkelche leisten konnte.
Diesmal gehen die beiden Jungarchäologen in die Knie. Sammeln die wertvollen Scherben auf, kratzen weiter in der Erde, kratzen sich am Kopf.
„Wenn wirklich Mykener hier, dann …“ flüstern sie.
„Kein Hotel …“ weinen sie fast.
Ich gehe nach Hause und freue mich über den Sieg der Archäologie. Scherben verhelfen aber auch zu einem außerarchäologischem Glück, das aber nur von kurzer Dauer sein wird. Die Archäologen werden weiter nichts finden, weil ich es einfach nicht schaffen werde, Überreste eines Tempels in die Erde zu applizieren.“
Radio Kreta hofft, dass Nera trotz – oder gerade wegen all des Aufwands – weiterhin einen schönen Blick über ihren Weinberg auf die wunderschöne griechische See hat! Und dankt für diesen wundervollen Beitrag!