Wie geht´s… Griechenland?

Das weiß Steffen Stierle, Wirtschaftswissenschaftler und Mitglied des Netzwerks Attac.

Hier ein Auszug:

Bankenrettung und Totalumbau der Gesellschaft

Und wie sieht es mit den Schulden aus? Um die ging es ja angeblich bei der ganzen Rettungspolitik. 2007 hatte der griechische Staat Schulden in Höhe von 239,3 Milliarden Euro. Das entsprach 107 Prozent der Wirtschaftsleistung. Dann kam die Troika. Seither sind die Schulden auf 318,7 Milliarden Euro beziehungsweise 175 Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen. Ursächlich für diese Entwicklung ist, dass die Troika-Kredite nicht nach Griechenland flossen, sondern zu über 90 Prozent direkt an den internationalen Finanzsektor weitergegeben wurden, um griechische Schulden zu begleichen. Wir haben mit Steuergeldern die Gläubiger-Banken Griechenlands ausgelöst. Es handelte sich also nicht um eine Griechenland-Rettung, sondern um eine internationale Bankenrettung – zu einem hohen Preis für das griechische Volk, wie dem erwähnten Überprüfungsbericht zu entnehmen ist:

Griechenland wurde zu einem Ramschladen für internationale Investoren gemacht. Ein Großteil der öffentlichen Unternehmen wurde an einen Privatisierungsfonds übertragen. Alles steht zum Verkauf: Staatslotterie, Gasversorger, Eisenbahn, Häfen, Flughäfen, Wasserversorgung, Post und mehr als 1.000 Immobilien. All das wird billig verramscht, weil der Verkaufszwang die Preise in den Keller drückt.

Der öffentliche Sektor wird in großen Teilen zerschlagen. So verpflichtete sich Griechenland, bis 2015 150.000 Stellen im öffentlichen Dienst zu streichen und liegt damit laut EU-Kommission „im Zeitplan“. Hinzu kommen beachtliche Lohnkürzungen für die verbliebenen Beschäftigten.

Das Gesundheitssystem wurde zum Kollabieren gebracht. Zuerst wurden die Ausgaben drastisch gesenkt und dann auf 6 Prozent der Wirtschaftsleitung gedeckelt. Das bedeutet, dass der Einbruch der Wirtschaftsleistung automatisch auch die Gesundheitsausgaben nach unten zieht. Aktuell wird eine Krankenhausreform durchgesetzt, die unter anderem die Inanspruchnahme von Spezialisten und Notfallversorgung reduzieren soll, um „unnötige, hohe Kosten“ zu senken. Zudem sollen die Ausgaben für Medikamente auf 80 Prozent des Vorjahresniveaus gedeckelt werden.
Ähnlich scharf wurde das Rentensystem attackiert. Drastische Rentenkürzungen von teilweise über 30 Prozent, eine Reduzierung der Basisrente auf 360 Euro im Monat und eine Erhöhung des Renteneintrittsalters wurden bereits im Rahmen des ersten Programms durchgesetzt. Aktuell geht es vor allem um Reformen, die das niedrige Rentenniveau dauerhaft festschreiben.

Man könnte diese Liste noch weiterführen. Das Programm berührt viele weitere Bereiche wie Arbeitslosenversicherung, Steuerpolitik, Bildung, Energie und Verkehr. Die Troika lässt keinen Stein auf dem anderen.

Die Globalisierungskritikerin Naomi Klein hat den Begriff der Schock-Strategie geprägt. Damit lässt sich trefflich beschreiben, was hier passiert. Unter dem Eindruck der Krise wird ein gesamtes Gesellschaftsmodell im Interesse finanzieller und ökonomischer Eliten auf den Kopf gestellt. Statt effektiv gegen die Krise vorzugehen – durch öffentliche Investitionen, Beschäftigungsprogramme, Finanzmarktregulierung, eine Verhinderung von Kapitalflucht und eine weitreichende Beteiligung der Vermögenden an den Krisenlasten – wird die Gunst der Stunde genutzt um soziale Sicherungssystem auszuhöhlen, Gewerkschaften und Arbeitnehmerrechte zu zerschlagen und öffentliches Eigentum billig zu verscherbeln.

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Karikatur von Freund Klaus Stuttman

Natürlich verschärft das die wirtschaftliche und finanzielle Krise. Das permanente Kürzen ist Hauptursache von Dauerrezession und Massenarbeitslosigkeit. Zudem haben die Kürzungsorgien eine tiefe soziale und humanitäre Krise verursacht: 60 Prozent der jungen Griechen sind ohne Arbeit und Lebensperspektive. Die Armutsquote ist von 2008 bis 2012 von 20,1 Prozent auf 35,8 Prozent gestiegen. Heute liegt sie wohl noch höher.

Die Teilzerstörung des Gesundheitssystems hat zu einer Steigerung der HIV-Infektionen um das 32-fache, einer Rückkehr von Malaria, einer dramatischen Unterversorgung mit Medikamenten in ländlichen Regionen, einem Anstieg der Totgeburten um 21 Prozent und der Kindersterblichkeit um 43 Prozent geführt. 800.000 arbeitslose Griechen erhalten heute weder Arbeitslosenunterstützung, noch verfügen sie über eine Krankenversicherung. Massenhafte Obdachlosigkeit ist in den Städten allgegenwärtig.

Der Schock, der der Bevölkerung zugemutet wird, findet auch in einer Verdreifachung der Personen, die unter massiven Depressionen leiden und einer Steigerung der Suizid-Rate um 45 Prozent ihren Ausdruck.

Düstere Perspektive oder radikaler Kurswechsel

Ein Ende dieser Krise ist nicht in Sicht, auch wenn die Kommission nicht müde wird, die Lage schönzureden. Noch immer hat der griechische Staat Zahlungsrückstände in Milliardenhöhe. Über 30 Prozent aller Kredite griechischer Banken gelten als notleidend. Und eine Rückkehr des während der letzten Jahre aus Griechenland geflüchteten Kapitals zeichnet sich bisher nicht ab.

Insofern ist es nur konsequent, dass immer lauter über ein drittes Griechenland-Programm und eine Verlängerung der Kreditlaufzeiten auf 50 Jahre nachgedacht wird. Das bedeutet mehr von der Medizin, die Griechenland um Jahrzehnte zurückgeworfen und die dort seit dem Ende der Diktatur errungenen sozialen und demokratischen Rechte nachhaltig unterwandert hat.

Was Griechenland hingegen braucht, ist ein radikaler Kurswechsel, eine Abkehr vom neoliberalen Pfad für den EU, Troika und die Samaras-Regierung stehen. Deswegen ist es gut, dass die linke Syriza bei den EU-Wahlen stärkste Kraft wurde. Es ist Zeit für Neuwahlen, damit sich die gegenwärtigen gesellschaftlichen Mehrheitsverhältnisse auch in der nationalen Politik Griechenlands wiederspiegeln.

Der Autor

Steffen Stierle ist Wirtschaftswissenschaftler und Mitglied der Projektgruppe Eurokrise des globalisierungskritischen Netzwerks Attac. Zusammen mit Ko-Autoren hat er unter anderem die Attac-Basistexte „Europa-Krise: Wege hinein und mögliche Wege hinaus“ sowie „Umverteilen: von oben nach unten. Verteilungsgerechtigkeit statt Kürzungsdiktat“ verfasst.

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