Wenn die Sommermassen verschwinden und das Meer stahlgrau wird, atmet Kreta auf.
Die Insel faltet sich wie eine schlafende Katze zusammen und schmiegt sich um die langsame, strahlende Glut des Winters. Die Olivenernte ist vorbei, die Reben sind kahl, und die Dörfer – diese honigfarbenen Sternbilder, die über die Hügel verstreut sind – beginnen wieder zu leuchten, nicht im Sonnenlicht, sondern im Feuerschein.
Winterwärme wird auf Kreta nicht in Grad gemessen. Sie ist eine Frage der Gesellschaft, des Rituals, der Dinge, die so gemacht werden, wie sie eh und je gemacht wurden. In den Bergen steigt Rauch aus Holzöfen und offenen Kaminen auf und trägt den Duft von Olivenholz und Rosmarin in die kalte Luft. Irgendjemand röstet immer Kastanien; jemand anderes schenkt den neuen Raki ein, jenes klare, feurige Destillat der Sommertrauben, das nun als flüssige Wärme wiedergeboren ist.
Die Abende ziehen sich im Winter in die Länge. Nachbarn kommen ohne Zeremonie vorbei – vielleicht bringen sie Orangen mit, vielleicht auch gar nichts – und sitzen dicht beieinander, tauschen Klatsch und Gelächter aus, während aus dem Radio eine alte Lyra-Melodie raunt. Geschichten tauchen wieder auf: von Hirten, die sich in Schneestürmen verirrten, von Heiligen, die den Herd segnen, von Großvätern, die barfuß auf dem Eis tanzten, „weil die Männer das damals so taten“. Es ist halb Prahlerei, halb Erinnerung, ganz Zugehörigkeit.
Draußen streicht der Wind durch die Gassen und zerrt an den Wäscheleinen, doch drinnen herrscht das leise Summen des Lebens in vertrauter Umgebung. Die Küche wird zum Herzstück des Hauses, ein ewiges Theater der Hitze – Töpfe köcheln mit Linsen, Lammknochen, Zitrone und Lorbeer; Brot geht unter Leinentüchern auf. Wärme entsteht hier durch das Teilen: Essen, das von Tisch zu Tisch wandert, Hände, die beim Teigkneten helfen, Lachen, das wie Donner über die Berghänge rollt.
In den hochgelegenen Dörfern am Psiloritis oder in der Sfakia findet man die Kafeneios noch bis spät in die Nacht beleuchtet, Männer in schwarzen Hemden beugen sich über ihre Gläser Tsikoudia oder Rakomelo und unterhalten sich langsam und gemächlich. Der alte Holzofen tickt und knarrt, und manchmal stimmt ein Musiker eine Melodie an – etwas Trauriges, etwas Uraltes – und der Raum füllt sich mit dieser bittersüßen Wärme, die nur Kreter zu kennen scheinen: teils Erinnerung, teils Trotz, ganz Herz.
Kreta hält sich nicht durch den Kampf gegen die Kälte warm, sondern durch die Erinnerung daran, wer es ist. Im Winter findet die Insel zu sich selbst zurück – wenn Familien in die im Sommer stillen Dörfer zurückkehren, wenn sich die Zeit wie ein Schal ausdehnt und das Leben im Rhythmus des knackenden Brennholzes ruhiger wird.
Die Wärme liegt in der Gesellschaft, in den Geschichten, die zum hundertsten Mal erzählt werden, in der einfachen Zusammenkunft – denn auf Kreta ist Wärme nicht das, was man erzeugt, sondern das, was man am Leben erhält.