Wer ist Manolis Mavrozaharakis?
Emmanuel Mavrozaharakis wurde am 23.07.1962 in Heraklion auf Kreta geboren wo er auch das Gymnasium-Lyzeum absolvierte. Von 1981 bis 1989 studierte er Soziologie und Politikwissenschaft an der Phillips-Universität Marburg.
Ab 1989 arbeitete er im Bereich Tourismus/Sozialtourismus und im Bereich des Parteienwesens. Er war Sekretär der ULA einer Initiative für ausländische Studenten und war Mitglied des Ausländerausschusses der Uni Marburg.
Von 2001-2005 arbeitete er als wissenschaftlicher Betreuer an verschiedenen Hochschulen. Von 2003 bis 2004 gab er Kurse zu Themen der öffentlichen Verwaltung und der politischen Ökonomie in einer Privatschule in Heraklion-Kreta. Im Zeitraum von 2005-2007 machte Emmanuel Mavrozacharakis sein Master-Diplom am Fachbereich Politikwissenschaft an der Universität Kreta. Von 2009-2013 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter des griechischen Parlamentes.
Heute ist er freier Schriftsteller und Forscher des Zentrums für Menschenrechte und des Zentrums für Politikforschung und Dokumentation am Institut für Politikwissenschaft der Universität Kreta.
Was macht Manolis Mavrozaharakis?
Er schreibt: „Zur Phänomenologie der griechischen Krise“
Die Auswirkungen des griechischen Sparprogramms. Zuerst erschienen am 02.04.2014.
Wahlumfragen sind zweifelsohne nur Momentaufnahmen der öffentlichen politischen Stimmungslage. Als solche erfassen sie nur teilweise den latenten oder offenen Zorn der Bürgerschaft, gegenüber den politischen Eliten. Diese Feststellung beansprucht in der Tat volle Gültigkeit für den Krisenfall Griechenland, wo eine harte, horizontale und eigentlich besonders ungezielte Sparpolitik als relevant erachtet wurde um die Fiskalkrise des Landes in den Griff zu bekommen. Als Sanierungsziel für Griechenland wurde gesteckt, innerhalb eines ziemlich kurzen zeitlichen Intervalls , die Wettbewerbsfähigkeit zu fördern und das Land als Investitionsstandort attraktiver zu gestalten. Dieses Ziel wurde an massive Gehaltskürzungen, Rentenkürzungen , massive Steuererhöhungen und flexiblere Arbeitsbedingungen gekoppelt. Paradoxerweise wurde nicht im geringsten die Möglichkeit in Betracht gezogen daβ die Anhebung von Wettbewerbsfähigkeit auch per Investition in Innovation und Humankapital und die Förderung von Wirtschaftsnischen möglich ist. Durch den Einsatz besonders ideenloser, teilweise sogar undemokratischer operativer Verfahren und mittels gezielter neoliberaler Maßnahmen wurde geradezu der versteckte Zorn der griechischen Bevölkerung geschürt. Es ist verwunderlich daβ sich dennoch von Anfang an der Protest gegen das rigide Sparprogramm das Griechenland auferlegt wurde, nur stillschweigend, also latent äuβerte und nur teilweise aggressive Formen annahm. Die Phase der Austerität von 2010 bis heute lief nur teilweise inmitten massiver Demonstrationen und extremer Ausschreitungen ab.
Anders formuliert, ist davon auszugehen, daβ die griechische Bevölkerung ihren Ζorn eher verinnerlichte ohne jedoch die Neigung zur Bestrafung der regierenden Parteien aufzugeben. Die gesellschaftliche Diffusion der Abneigung gegenüber den eingesessenen politischen Parteien führte zu einem sogenannten „Mitläufer-Effekt“ im Sinne einer massenhaften Verlagerung der Wählerschaft zu antisystemischen Parteien des linken und rechten Spektrums. Im Verlauf dieses erstaunlichen Verlagerungsprozesses verlieh das gute Abschneiden in den Umfragen, der rechtsextremen Partei Xrisi Avgi ( Morgenröte) und des Linksbündnisses SYRIZA , so scheint es, das Image von Gewinnern. Die positive Stimmung für die extremen Pole des politischen Systems wirkt bis heute ansteckend. Parteien die vor 2010 niemals die 5 % Hürde überschritten haben sind nunmehr zu ernsthaften Anwärtern für das Regierungsamt gemausert.
Gleichwohl verleiht die Thymus- Determinante[1] die in der sozialökonomischen Situation der Bevölkerung steckt, den politischen Entwicklungen im Lande ein hohes Maß an Unsicherheit. Die Phänomenologie der griechischen Krise lässt sich am besten mit einem Kommentar des Economist[2] über Argentinien konstatieren: «es ist wahrlich nicht schwierig , bis ein Land in eine stabile Umlaufbahn des Zerfalls gerät. Es sind keine Extremzustände nötig, sondern lediglich schwache Institutionen , einige Provinzpolitiker , die faule Abhängigkeit von einigen wenigen Reichtumsquellen und die systematische Verleugnung der Realität». Gerade in Griechenland wurden bestimmte zeitlich aufeinander folgende Realitäten ignoriert, die auf latent das politische und sozioökonomische System untergruben und erst dann zum Ausdruck kamen als klar wurde, daβ die Wahrscheinlichkeit eines Staatsbankrotts unmittelbar vor der Tür stand.
Die erste Realität ist, daβ eine Volkswirtschaft mit schwacher Produktionsbasis und dementsprechend einem ausgewachsenen Außenhandelsdefizit, nur kontinuierliche Haushaltsprobleme erzeugen kann, statt genügend Arbeitsplätze.
Die zweite große Realität, deren Wahrnehmung eine Menge Schmerz verursachte ist , daβ das griechische politische System wie ein selbstreferenzielles System[3] funktioniert und demzufolge nur den Erfordernissen der eigenen Reproduktion folgt , statt den Belangen der Zivilgesellschaft . Sogar die neu in Erscheinung tretenden politischen Formationen dienen der erwähnten Selbstbezüglichkeit.
Die griechische politische Klasse nahm stets die Form einer Oligarchie an, die im modernen Sinne an einem Status Quo der Ungleichheit, der dubiosen Privilegien, der geheimen und verantwortungslosen Macht orientiert war . Die Regierungstätigkeit konzentrierte sich auf wenige Personen die gegenüber jeglichem Wandel eine tiefe Abneigung hegten.
An der Macht blieben und alterierten immer dieselben Personen und reproduzieren sich mit Klientelbeziehungen im Rahmen einer solidarischen Komplizenschaft. Logischerweise wurden die demokratischen Prozeduren und Verfahren ausgehöhlt, ohne jedoch einen Sturz des demokratischen Regierungssystems herbeizuführen. Was allmählich verloren ging, ist allerdings das Wesen der Demokratie. Nicht zuletzt die dritte große schmerzhafte Realität ist, daβ der Staat nicht als wichtigster Arbeitgeber funktionieren kann im Rahmen einer kapitalistischen Wirtschaft , vor allem, wenn er nicht an den erforderlichen Leistungsbedingungen orientiert ist und nicht den Anforderungen der Transparenz und des egalitären Gesetzesrelevanz entspricht.
Sicher kann eine wirtschaftliche Entwicklung die fast exklusiv auf Kredite fundiert ist, nur kontraproduktiv sein und zu erheblichen Engpässen führen. Ebenso ausweglos erscheint jedoch die aktuell in ganz Europa angewandte rein ökonomische Logik der deflationären Rezession, die letztendlich nur für starke Exportnationen wie Deutschland von Vorteil ist. Kein wunder das sogar der Europa-Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), vor nicht all zu langer Zeit einräumte daβ «durch den ausufernden Niedriglohnsektor in Deutschland, durch die Zunahme von prekärer Beschäftigung haben wir uns einen unfairen Vorteil gegenüber unseren Partnerländern verschafft. Der muss perspektivisch beseitigt werden. Die Abmilderung der Leistungsungleichgewichte in der Europäischen Union sei „nicht nur eine Aufgabe der Defizitländer, sondern auch eine Aufgabe von Deutschland» (www.n24.de/n24/Nachrichten/Wirtschaft/d/4327634/aussenministerium-kritisiert-deutschen-exportueberschuss.html)
Mit Rezession wie sie in Griechenland praktiziert wird, lassen sich auf jeden Fall keine Staatschulden tilgen, sondern genau das Gegenteil. Die hohe Besteuerung erstickt die Investitionen schon im Ansatz , der Rückgang der Kaufkraft die inländische Nachfrage . Letztlich reduzieren sich die Staatseinnahmen.
Investitionen kommen, aber nur wenn eine gesunde Inlandsnachfrage besteht und noch dazu Innovationsbereitschaft , niedrige Steuern, sozialer Frieden und politische Normalität. Natürlich erfordert all dies einen geordneten , antibürokratischen und modernen Staat und eine optimale Nutzung der Ressourcen. Doch die gegenwärtig vorherrschende Logik der sozialen Desintegration hat exakt den gegenteiligen Effekt. Es ist kein Zufall , dass die meisten hoch entwickelten Volkswirtschaften wie z.b die Skandinavischem ein hohes Maß an sozialem Zusammenhalt ,an politischer Stabilität und an Innovation vorzuweisen haben.
In Griechenland dagegen begnügt sich der Staat derzeit auf Druck der im Lande verhassten Troika[4], auf die einfache Reduktion der Staatsausgaben und die Erhöhung der Steuern. Ein Raubtier Staat im Entstehen.
Der rennomierte amerikanische Ökonom , James Galbraith[5] setzt einen solchen Staat in Verbindung mit der Kanalisierung eines Stromes finanzieller Mittel an politisch begünstigte Gruppen und definiert den Raubtier-Staat als einen Staat «der für Patronage in großem Stil missbraucht wird. Eng verbunden damit ist die Neuinterpretation von Regulierung: nicht als funktionelle Notwendigkeit, sondern als Last, die minimiert werden sollte“ Parallel kürzt der Raubtier Staat nach Galbraith die meisten staatlichen Dienstleistungen und setzt schrittweise die Zerstörung wichtiger Bestandteile des Wohlfahrtsstaates in Gang.
Rund um obige Prämissen können die Koordinaten eines möglichen Lösungsansatzes aufgebaut werden. In Griechenland stattdessen begnügt sich einerseits das Regierungslager, das aus der konservativen «Nea Dimokratia» und der sozialdemokratischen «PASOK» besteht , auf die Initiation einer kommunikativen Prahlerei rund um eine angebliche “ Erfolgsgeschichte“ ( Sucess Story), also die Verhinderung des Staatsbankrotts durch Sparmassnahmen. Auf der anderen Seite übt sich die linke Opposition -die sich bereits selber als potentielle Regierungskraft feiert- in der leeren Rede von der Kündigung der Sparmassnahmen (Memorandum).Auf die zentrale Frage aber , ob Griechenland über die notwendige internationale und europäische Unterstützung verfügt und ob im Rahmen der EU und des Euroraumes die notwendigen Kräfteverhältnisse vorhanden sind die es Griechenland erlauben würden sich als Vetospieler ( Veto Player) zu entpuppen und so die vereinbarten Sparmassnahmen zu kündigen oder neu zu verhandeln geht die Linke auch nicht ein. Diesbezüglich ist sowieso davon auszugehen daβ der moderne europäische Kapitalismus die Wahl seines zukünftigen Weges bereits 2008 getroffen hat. Die griechische Gesellschaft und das entsprechende politische System haben allerdings die erforderlichen “ Veränderungen“ denen momentan alle Länder der Eurozone ausgesetzt sind noch nicht wahrgenommen. Die Richtung ist vorgegeben und hat mit einer harten Umverteilung von unten nach oben zu tun in Rahmen eines Wettbewerbsmodells , das auf niedrigere Arbeitskosten, institutionelle Dislokation und Abschwächung demokratischer Verfahren basiert zugunsten einer neuen Zentralität , die im Namen der wirtschaftlichen Regierbarkeit (Governance). gehorcht. Ein kleines Direktorium, dass der Regie Deutschlands gehorcht. Dieses Modell zielt letztendlich darauf ab, die Wettbewerbsfähigkeit Europas gegenüber China und den Schwellenländern zu erhöhen. Wir haben es nunmehr mit einem neuen Modell des demokratischen Zentralismus zu tun im Rahmen eines Versuches auf zentraler europäischer Ebene die einzelnen Mitgliedsländer der EU unter Kontrolle zu halten. Mit demokratischer Funktionsweise hat dies nicht viel zu tun.
Der zentrale Gegensatz jedoch der nach wie vor im europäischen Kontext aktuell bleibt ist der zwischen einem sozialem Europa auf der einen Seite und den europäischen Märkten auf der anderen. Im Wesen ein Gegensatz zwischen demokratischer Republik und autoritärer Zentralität. Mit dieser Realität wird jedes europäische Land auf die eine oder andere Weise leben müssen. Vor allem Griechenland.
Unter diesem Gesichtspunkt wird es immer schwieriger für die Griechen das Finanzkorsett das unter dem derzeitigen Spar-Memorandum angesetzt wurde, loszuwerden. Zumal die Forderung nach einem ausgeglichenen Haushalt unter Aufsicht mit Imperativen und Finanzregelungen in ganz Europa mit dem Fiskalpakt vorgesehen wird.
Dem zu trotz können aber die notwendigen Reformen nicht auf das eindimensionale Konzept, des Rechnungswesen unter alleiniger Berücksichtigung von Einnahmen und Ausgaben reduziert bleiben. Diese Logik ist längst überholt und hat nirgendwo zu atemberaubenden ökonomischen Ergebnissen geführt. Im Gegenteil ist vielerorts wo der IWF seine Konzepte entfaltet hat, vom sozialen Friedhof die Rede.
Die meisten modernen Länder , die notwendige Reformen unter dem Aspekt der Rationalisierung realisierten haben sorgten gleichzeitig dafür, daβ bis zu einem gewissen Grad die soziale Kohäsion erhalten bleibt. Dies ist in Griechenland keineswegs der Fall. Das soziale Gefälle ist in den letzten Jahren ist erheblich gestiegen genauso wie die Arbeitslosigkeit und die absolute Armut. Kein fortschrittliches Land demontiert heutzutage sein soziales Gefüge nur um wettbewerbsfähig zu bleiben. Einige Gesellschaften Europas jedoch wurden regelgerecht durch die Auswirkungen der Krise sozial verwüstet.
Die Wirtschaft in der europäischen Südperipherie befindet sich in einem Prozeβ der Desintegration. Regierungskrisen breiten sich überall in Europa aus und der Europa- Skeptizismus befindet sich in einem neuen Höhenpunkt. Unter solchen Umständen kann kaum die Rede sein von Überwindung der Krise und Wiederherstellung der Normalität. Im Gegenteil verlagert sich in den Krisenländern aufgrund der Auswirkungen der Sparmonomanie die Wählerschaft politisch nicht nur weil sie nach einem Politikwechsel verlangt , sondern weil sie fühlt , daβ die bestehenden Machtparteien eine große Verantwortung für die gegebene Situation haben.Die Βürger tolerieren nicht daβ alle sozialen Errungenschaften , für die sie hart gearbeitet haben einfach abgebaut werden. Auch akzeptieren sie es nicht daβ die meisten Politiker, nur daran interessiert sind ihre eigenen Privilegien und ihre Macht uszubauen.
Was fehlt, sind mehr Männer und Frauen mit Mut und Zivilcourage. Mehr Bürger die sich ihren Rechten und Pflichten bewusst sind und vor allem mehr Politiker , die den Mut hätten den Bürgerinnen und Bürgern zu dienen.
Eine strukturelle politische Legitimationskrise ist Griechenland im vollen Gange, begleitet von Umständen sozialer Erosion der Mittelschichten und dementsprechend mangelnder Konsensfindung.
Mavrozacharakis Emmanuel
Soziologe – Politiologe
[1] Tugend: des Mutes (griechisch „thymos“ Mut). Ausdruck der Risikobereitschaft aber und der jugendlichen Unreife.
[2] The tragedy of Argentina . A century of decline.
One hundred years ago Argentina was the future. What went wrong?
www.economist.com/news/briefing/21596582-one-hundred-years-ago-argentina-was-future-what-went-wrong-century-decline
[3]Selbstreferenzialität
de.wikipedia.org/wiki/Selbstreferenzialit%C3%A4t
[4] TROIKA
Siehe beispielsweise: a) Kräftemessen mit den „Men in Black“
www.cicero.de/blog/eric-bonse-lost-europe/2013-11-05/kraeftemessen-mit-der-troika
b) Troika. EU-Bericht: Troika weist Demokratie-Defizit auf
deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/02/25/eu-bericht-troika-weist-demokratie-defizit-auf/
[5] James K. Galbraith Der Raubtier-Staat. http://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/usa-der-raubtier-staat/3502570.html
____________________________________________________________________________________________
Wir treffen Manolis in Kürze auf einen Frappè in Heraklion. Darauf freuen wir uns sehr.
Doch wer ist eigentlich Klaus Stuttmann? Hier erfahrt Ihr mehr…