Zu Gast bei Radio Kreta: Melina Proikas, Greece on Tour.

Es ist nicht leicht in diesen Tagen, als Grieche in Deutschland zu leben. Die hiesige Wut über die Auswirkungen der Schuldenkrise bekommen vor allem Exil-Griechen zu spüren. Eine chauvinistisch geführte Diskussion malt das Bild des „faulen“ Hellenen, der es sich gut gehen lässt, während andere für ihn schuften. Sind die Zeiten vorbei, als Griechen und Deutsche in fröhlicher Eintracht zusammen auf Tischen tanzten und der Ouzo in den Tavernen in Strömen floss? Nein, sagt Melina Proikas. Die Chefin der Frankfurter Agentur „Greece on Tour“ bringt Griechenlands Musikstars nach Europa und ist überzeugt davon, dass die Finanzkrise keine Krise zwischen den Menschen ist.

Greece on tour
Greece on tour

„Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen“ titelte die BILD-Zeitung vor kurzem. Von dieser Möglichkeit ist Melina Proikas ebenso weit entfernt wie die meisten ihrer Landsleute. Eine Insel besitzt sie nicht, pleite ist sie auch nicht. Schon gar nicht entspricht sie jenem Zerrbild von Griechen, die es sich auf Kosten anderer gut gehen lassen. Diese Vorstellung, die via Boulevardpresse an die Stammtische transportiert wird, entbehrt ohnehin jeder Grundlage. „Kaum jemand nimmt zur Kenntnis, dass die Griechen eine ähnliche Lebensarbeitszeit haben wie die Deutschen. Sonst hätten wir kaum eine solch massive Arbeitslosigkeit“, sagt Melina Proikas. „In der Diskussion wird viel Unsinn erzählt.“ Aber so läuft es, wenn Presseleute und Politiker ein ganzes Volk in Sippenhaft nehmen.

Überhaupt befindet sich das Bild über die Griechen gerade in einer ziemlichen Schräglage. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass die Menschen dort nicht dazu neigen, über ihr Schicksal zu jammern. „In Deutschland wird zum Beispiel eine Diskussion über die Zuzahlung im Krankensystem geführt, die bei uns undenkbar wäre“, bemerkt Melina Proikas. In ihrem Heimatlandregt sich niemand darüber auf, sich an den Kosten für eine Arztbehandlung zu beteiligen. „Das ist die normalste Sache der Welt.“ Trotzdem sind die Griechen weit davon entfernt, sich alles gefallen zu lassen. Gerade jetzt, wo es an vielen Stellen ans Eingemachte geht, gibt es in den Städten fast täglich Demonstrationen. „Viele Veränderungen sind zwingend notwendig“, findet Melina Proikas. „Dass die Leute aufbegehren, wenn es um ihre Existenz geht, kann ihnen aber niemand verdenken. Das wäre in Deutschland nicht anders.“ Anders ist nur, dass sich der Protest nicht in depressivem Wehklagen, sondern in offener Empörung äußert.

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Melina Proikas, gemalt von Katerina Metallinou-Kies

Womit wir beim Thema wären. Denn Melina Proikas arbeitet in der Musikbranche. Genauer gesagt: Mit ihrer Agentur „Greece on Tour“ veranstaltet sie Tourneen von griechischen Künstlern. Dieser Zusammenhang ist deshalb so wichtig, weil kaum ein europäisches Volk seine Seele so sehr in der Musik widerspiegelt wie das der Griechen. Ein immer wieder kehrendes Thema ist die Freiheit und die Sehnsucht nach Unabhängigkeit. Anders als etwa im portugiesischen Fado, spürt man im griechischen Volkslied nicht nur Melancholie oder sentimentale Rückblicke in die Vergangenheit, sondern ein rebellisches Aufbegehren gegen alle Eingriffe von außen, ein bisschen Anarchie und vor allem Stolz. Es ist eine besondere Tragik der Gegenwart, dass die Griechen sich genau darin verletzt sehen, wenn sie demnächst am Tropf ihrer Nachbarländer und der EU hängen. Eine Alternative dazu gibt es nicht. Aber die Würde des Volkes ist angegriffen.

Ganz Europa spricht über notwendige wirtschaftliche Hilfen für Griechenland. Wer aber kümmert sich um die geschundenen Seelen der Menschen, die diese Krise nicht verursacht haben, aber mit ihren Folgen leben müssen? Wer zeigt den europäischen Nachbarn, dass Griechenland mehr ist als ein korruptionsgeschädigtes Land, sondern die Wiege der jahrtausendealten europäischen Kulturgeschichte, die nicht in der Vergangenheit endet? Melina Proikas empfindet diese Fragen als Herausforderung. Sie will die Musik Griechenlands des 21. Jahrhunderts nach Europa importieren. Denn wer kann besser die Wunden eines Volkes heilen und ihm ein neues Selbstbewusstsein geben als Künstler?

Auf dem Weg zu dieser Mission ist Melina Proikas schon weit gekommen. Vor vier Jahren gründete die Tochter einer Deutschen und eines Griechen ihre Agentur „Greece on Tour“. Anfangs spielte sie noch mit dem Gedanken, damit irgendwann den Absprung in ihr Heimatland zu schaffen. Denn „die deutsche Hektik mag ich nicht.“ Dieses Empfinden teilt sie wohl nicht nur mit vielen Landsleuten, sondern vermutlich auch mit der Mehrheit der Deutschen, die so gerne mit den Fingern auf andere zeigen. Doch den Wunsch, nach Griechenland zurückzukehren, hat sie heute nicht mehr. „Zunehmend treibt mich die Idee an, anderen unsere Kultur näher zu bringen. Das geht am besten vom Ausland aus. Griechenland steht an einer Wegscheide und es ist wichtiger denn je, die vielen schönen Seiten dieses Landes in den Vordergrund zu stellen.“

Dafür arbeitet sie hart – und erfolgreich. „Greece on Tour“ genießt einen vorzüglichen Ruf in der Branche, denn „wir stehen für Verlässlichkeit und machen keine leeren Versprechungen.“ Das ist nicht selbstverständlich im Haifischbecken Musikbusiness. Mit Unterstützung ihres Beraters, dem Komponisten Alexandros Karozas, ist es ihr gelungen, den Weltstar George Dalaras an Land zu ziehen, dessen Europatournee sie gerade organisiert hat. Auch andere Größen wie Michalis Hatzigiannis, der aufgehende Stern am griechischen Musikhimmel oder der Michalis Tzouganakis, der „Hendrix der Laute“ sind im Programm von „Greece on Tour“, das inzwischen weltweit zweitgrößte Veranstaltungsmanagement für griechische Künstler. Der Durchbruch ist also geschafft und der Blick in die Zukunft optimistisch. „Die Musik meines Heimatlandes lebt weiter, auch in den Herzen von Nicht-Griechen“, ist Melina Proikas sicher, „daran wird auch die Finanzkrise nichts ändern.“

Behält sie Recht, werden Deutsche und Griechen bald wieder zusammen auf den Tavernentischen tanzen. Darauf einen Ouzo. Yiamas!


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