Die „Welt am Sonntag Online“ berichtet heute in ihrem Artikel „Raus auf’s Land“ von einer interessanten Entwicklung in Griechenland – vielleicht nicht die schlechteste „Nebenwirkung“ der Krise. Denn die Krise treibt immer mehr Griechen aus den Städten in die Dörfer – und in die Landwirtschaft. 40.000 neue Bauern gibt es schon.
Die Dörfer erblühen, und noch gibt es genügend leer stehende Gehöfte für junge Leute, so die „Welt am Sonntag“ , und sie bringt auch gleich eine handvoll konkreter Beispiele, die irgendwie Mut machen:
„Vorsichtig führt Olga Palavidou einen schmalen Löffel in eine Wabenzelle. Die darin liegende Bienenlarve muss in eine sogenannte Weiselzelle umgebettet werden, damit sie dort von Ammenbienen zu einer Königin herangezogen werden kann. Eine Geduldsarbeit, die der drahtigen Enddreißigerin schon ganz leicht von der Hand geht. Noch vor einem halben Jahr saß die Einzelhandelskauffrau an einem Schreibtisch in einem Athener Büro. Die Wochenenden verbrachte sie mit Freunden in Tavernas und Bars, den Jahresurlaub auf einer Kykladeninsel. So wie Hunderttausende andere Athener.
Doch dann erwischte die Krise auch sie. Von einem Tag auf dem anderen war Palavidou ihren Job los. „Die Arbeitssuche in Athen war hoffnungslos“, berichtet sie. Da gab mir jemand den Tipp mit der Imkerei. Das sei ein guter Einstieg in die Landwirtschaft.“ Nun sitzt sie mit einem Insektennetz über dem rot getönten Haar auf einer Waldlichtung auf dem Peloponnes und „impft“ Bienenwaben. Was so leicht aussieht, ist in Wahrheit harte Arbeit. Anfangs gab es zahlreiche Rückschläge für Palavidou, ihre erste Bienenzucht ging sogar vollständig ein. Doch nun hat sie sich auf „Gelée Royale“ spezialisiert, jenen proteinhaltigen Futtersaft, den die Ammenbienen für die Königinnen produzieren. Eine Marktlücke, so hofft sie.
Olga Palavidou ist eine von landesweit rund 40 000 neuen Landwirten, die der griechische Bauernverband in den vergangenen zwei Jahren gezählt hat. In Hellas hat eine Stadtflucht eingesetzt. Während in der Hauptstadt ganze Geschäftsstraßen verwaisen, suchen immer mehr Athener und Thessalonikier ihr Glück als Bauern oder Fischer. Ihre Eltern waren einst auf der Suche nach Arbeit und besseren Bildungschancen in die Ballungsräume gezogen – jetzt, in der Krise, erinnern sich viele daran, dass ihnen im Dorf noch ein Haus oder gleich ein Stück Land gehört.
Auch Konstantina Papanastasiou entschloss sich, in das Heimatdorf ihrer Eltern zurückzukehren, nachdem sie in Athen ihren Job als staatliche Angestellte verloren hatte. Im 900-Seelen-Dorf Levidi auf dem Peloponnes stand das großväterliche Haus jahrelang leer. Papanastasiou hat es zu einer schmucken kleinen Pension umbauen lassen, mit Bruchsteinmauern und Holzbalkonen. Aus einem EU-Fonds für junge Unternehmensgründer erhielt die 27-Jährige dafür einen kräftigen Zuschuss. Die Übernachtungszahlen sind noch bescheiden, vielen Landsleuten fehlt das Geld und die Ausländer fahren lieber ans Meer. Dennoch hat sie ihre Rückkehr ins Dorf nicht bereut. „Viel zu verdienen gibt es hier auch nicht, die Wirtschaftskrise ist auch hier auf dem Land angekommen“, berichtet sie bei einer Tasse griechischem Kaffee. „Aber die Stimmung ist hier besser als in Athen. Man kann sich leichter über Wasser halten und die Unterstützung unter den Dorfbewohnern ist riesengroß.“
Im Dorf freut man sich über die Rückkehrer: dass die Bäckerstochter wieder da ist und nun im elterlichen Betrieb arbeitet, und dass Konstantinas Ehemann die Dorftaverna übernommen hat. Dort dreht sich ein kleinerer Souvlaki-Spieß als vor ein paar Jahren, und der Ouzo fließt auch nicht mehr so reichlich. Zum Glück kommen am Wochenende immer noch die Hochzeitsgesellschaften hierher – an solchen hohen Tagen sparen die Griechen ungern. Die gemeinsame Tochter von Konstantina und Konstantinos wurde hier geboren. In Athen, sagen sie, hätten sie sich nicht getraut, ein Kind in die Welt zu setzen. „Ich bin sicher, es werden immer mehr junge Leute aufs Land ziehen – dann könnte es hier wieder so lebendig werden wie vor der Landflucht in den 50er-Jahren.“
Der griechische Bauernverband kann sich vor Anfragen kaum retten: Was kann ich wo Erfolg versprechend anbauen, wo gibt es gebrauchte Traktoren, wie muss ich mit Dünger umgehen? Die Neuen seien motiviert und lernfähig, heißt es beim Berufsverband. Mit Laptop und E-Mail brächten sie außerdem moderne Zeiten in die Provinz. Schätzungsweise jeder Zweite der vier Millionen Bewohner Athens ist nicht dort geboren, sondern vom Land zugewandert. Der Wirtschaftsexperte Theodoros Pelagidis bezweifelt jedoch, dass es die Rettung für Griechenland ist, wenn alle diese Menschen in ihre Dörfer zurückkehren: „Kurzfristig könnten wir unser Sozialprodukt über Einnahmen aus der Landwirtschaft ein wenig steigern – wenn wir Nischen etwa im Bioanbau finden“, meint er. „Aber unsere Kredite können wir damit bestimmt nicht zurückzahlen. Dazu brauchen wir endlich ein größeres volkswirtschaftliches Projekt.“
Aber von den großen Ankündigungen der Politiker hat Olga Palavidou die Nase gestrichen voll. Die Streiks und Demonstrationen in Athen sind drei Autostunden von der schiefen Bauernkate ihrer Großmutter entfernt. Abends sitzen sie und ihr Freund auf dem Balkon, essen wilden Spargel und genießen die Aussicht auf den tiefrot blühenden Mohn und die Berge. Der Erlös aus Honig, Pollen und Gelée Royale deckt so gerade den Lebensunterhalt des jungen Paares. Aber dafür ist die Luft auf dem Land sauber und die Menschen hier sind freundlich, sagen sie und lächeln glücklich. „Gerade die Jungen sollten Athen schnell verlassen“, winkt Olga Palavidou ab. „Die Geschäfte sterben wie die Fliegen, da ist nichts mehr zu holen. Aber hier in den Dörfern, in der Landwirtschaft gibt es immer Arbeit. Und es gibt so viele verlassene Häuser. Wenn die alle wieder bewohnt werden, dann könnten vom Land noch mehr Impulse für ganz Griechenland kommen!“
Die junge Bienenzüchterin hat ihren persönlichen Ausweg aus der desperaten Lage ihres Landes gefunden. Ständig kommen Freunde aus Athen hinaus zu ihr aufs Land, staunen und erkundigen sich vorsichtig nach Jobs. Schneckenzucht gilt als Geheimtipp in Athen. Ein entsprechender Kurs des Bauernverbandes ist seit Monaten ausgebucht.“
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