Von Schafen und Ziegen. Und vom Neuanfang in Europa.

Von Holger Czitrich-Stahl

Schafe oder Ziegen? Europa und Griechenland vor dem Ende und dem Neuanfang. Begleiterscheinungen, Teil 22 vom 11. Juli 2015.

Zutiefst beleidigt reagieren die Vertreter der Troika und verschiedener ihr unterstellter nationaler Regierungen auf das für die bisherige Austeritätspolitik verheerende Ergebnis des Referendums in Griechenland vom 5. Juli 2015.

Die Kanzlerin zeigte sich sehr verschnupft, hieß es aus dem Bundespresseamt. Ihr Stellvertreter Sigmar Gabriel von den – manchmal glaubt man, ehemaligen – Sozialdemokraten sah ein „Votum gegen die Regeln der EU und der Eurozone, und der in seiner Gelocktheit stets schnöselig anmutende Eurogruppenchef Dijsselbloem sprach das Ergebnis des Referendums gar nicht erst an, als er anmerkte, dass es eigentlich gar keine Gespräche mehr geben brauche. Ganz zu schweigen von bayerischen Wirtshausrüpeleien und Boykotttiraden.

Diese Scheinmajestäten scheinen mit großer, aber durch das Athener Ergebnis mittlerweile lächerlich wirkender Geste zu verlangen: Tsipras, auf den Knien sollst Du uns um Vergebung anflehen! Aber dem wird Alexis Tsipras nicht folgen, eher wird er sein Amt aufgeben, als sich völlig zu unterwerfen.

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„Griechen brauchen ein Entgegenkommen.“ Karikatur von Freund Klaus Stuttmann.

Wer dieses bewundernswert konsequente Haltung der Griechen der immer als als Unterdrücker empfundenen Troika und der EU gegenüber verstehen will, muss rund fünf Jahrzehnte in der Zeit zurückreisen. 1967 putschte in Athen eine Obristenjunta unter dem Geheimdienstler Georgios Papadopoulos gegen die linksdemokratische Regierung von Georgios Papandreou sen.

Es folgten sieben Jahre finsterster Diktatur mit der Herrschaft der Folterknechte und der Schattenmänner, der gedungenen Mörder und der Lagerkommandanten sowie der sonnenbebrillten Bösewichte. Immer wieder flammte Widerstand auf, Alekos Panagoulis versuchte vergeblich den Tyrannenmord, Mikis Theodorakis, Melina Mercouri und Maria Farantouri sangen und spielten im Exil gegen die Obristen. Am 17. November 1973 starben 23 zumeist junge Griechen bei dem Studentenaufstand im Polytechnikon Athens, als Polizei und Militär scharf auf sie schossen.

Das Blöken der Schafe

Ich sage immer, wir Deutschen blöken wie die Schafe und folgen stets treudoof dem Schafhirten, die Griechen aber sind Ziegen, sie meckern und stoßen mit den Hörnern. Offenbar haben Merkel, Dijsselbloem, Schäuble und Konsorten geglaubt, die EU habe nach 34 Jahren EG/EU-Mitgliedschaft die Ziegen zu Schafen domestiziert. Welch Fehlschluss! Sie glaubten wohl, dieses Neumitglied in der gesamten blökenden Schafherde blökt dankbar mit, wenn man ihm sagt, dass das Futter knapp werde und man sich nun von Luft und Styropor zu ernähren hätte und die Zahl ihrer Schäferhunde wüchse, denen es dementsprechend erlaubt sei, aus Ernährungsgründen gelegentlich auch einmal ein Lämmlein oder Zicklein zu reißen.

61,3 % aller Abstimmenden sagten zu all dem Jägerlatein der Troika/EU „OXI“. Dass es trotz aller Drohungen und Interventionen ein so deutliches Votum werden würde, habe ich erwartet. Ich kenne die Griechen. Sie bleiben sie selbst, wir Deutschen sind aus Militaristen und „Herrenmenschen“ zu Wohlstandsdemokraten geworden, bevor man uns zu Neoliberalen ummodelte.Wir sind die blökenden Schafe. Troika und „Oktroi“ unterscheiden sich nur in einem kleinen Vokal, aus „a“ wurde „o“. Deshalb steht das EU-Europa vor seinem Ende, dem „Omega“. Der Grexit kommt, in den Köpfen hat er bereits begonnen, auch bei mir. Auf ihn wird 2016/17 der „Brexit“ kommen, der Austritt Großbritanniens aus der EU. Und dann?

Das neoliberale Europa führte dazu, dass es das vereinte Europa nicht mehr gibt. Es gibt das Europa der Troika, das mit dem Oktroi der Banken und Konzerne regiert wird. Kommt nicht schnell die Wende, wird dieser EU das „Omega“ bereitet, der Garaus gemacht werden. Dann erst kann ein „Alpha“ folgen, der Neuanfang. Dafür aber benötigen wir die Solidarität und die Klugheit der Ziegen.

(Geschrieben am 7. Juli in der Aharnon-Straße in Athen, gewidmet allen meinen Genossinnen und Genossen der SYRIZA in Berlin, besonders Elina, Nikos und Panos).

Fachlich, fundiert, fröhlich – Texte von Holger Czitrich-Stahl.

2 Kommentare

  1. Lieber Manoli,

    ich freue mich über diese Worte und denke, wir liegen auf einer Linie und wissen, dass wir in Griechenland und auch in Deutschland für ein besseres Europa kämpfen müssen, soll diese gute alte Idee des klassischen Griechentums und der europäischen Aufklärung nicht auf dem Altar des Profits geopfert werden.
    In diesem Sinne,
    Pame!

  2. Sehr geehrter Herr Czitrich-Stahl!

    Wie wahr – der Grieche hat noch Stolz und KEINE „Fremdherrschaft“ hat es in den vergangenen Jahrthunderten geschafft diesen zu „brechen“. Ja, sie haben recht, Ziegen sind keine Schafe. Ziegen sind intellegent, genügsam, haben einen wachen Blick und sind nicht unbedingt ein Herdentier. Eine Ziege ist neugierig und abwartend, „scheu“ und störrisch, man könnte fast sagen wie ein Grieche:-).

    Während ich ihren Artikel kommentiere ist die Entscheidung in Brüssel gefallen – Kein Grexit! Zumindest vorerst. Ob das etwas am Brexit ändert? Großbritannien mit ihrem Sonderstatus in der Eurozone, kein großes Drama wenn es dazu kommt? Kommt beim Brexit das „Omega“ oder haben wir das nicht schon lange erreicht?

    Unbestritten ist, es muss ein „Alpha“ geben. Die Chance für die EU lebt noch, auch wenn sie scheintot ist. Doch dazu müßte sich zuviel ändern – politisch und wirtschaftlich – daher wird es eher zu einem „abdrehen der Lebensverlängernden Geräte“ kommen.

    Persönlich finde ich es schade dass ein guter Grundgedanke, VEREINTES EUROPA, auf diese Art und Weise „zu Grabe getragen wird“.

    Oder findet doch noch ein umdenken in den „Sturschädeln“ der Politiker statt? Kommt es doch noch zum umsetzen von „Allgemeinschutz“ und wird das Wort „Eigennutz“ aus den Köpfen eliminert? Große Hoffnung habe ich nicht, aber wie heißt es so schön?
    „Die Hoffnung stirbt zuletzt“

    Die nächsten Jahre werden es uns zeigen. Ein „Alpha“ so oder so, ohne dem wird es dieses Europa in dieser Form nicht mehr lange geben.

    (geschrieben in einem kleinen Bergdorf im Norden Kretas. Ich grüße damit alle Philhellenen und jene die an den europäischen Gedanken glauben)

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