Wen auch immer man fragt, was denn wohl Kretas Hauptwirtschaftszweig ist – die Antwort ist meist: der Tourismus. Und das ist heutzutage (leider) die Realität, setzen doch viele Kreter auf Auto- und Unterkunft-Vermietung, Touri-Gastronomie und „related services“ – soll heißen, Souvenirshops, echt total authentisch ökologische und überhaupt gesunde Produkte aus der kretischen Natur. Nix dagegen – gar nicht! – wenn es denn der Realität entspricht. Aber dazu ein andermal mehr. Denn heute geht es uns um den bis vor 50 Jahren absolut vorherrschenden Wirtschaftszweig Kretas: der Landwirtschaft. Fischerei auch, klar – aber halt nur an den Küsten.
Kreta besitzt kaum Bodenschätze und wenn, dann nur in geringen Mengen. Ebenso wenig findet man verarbeitende Industriezweige auf der Insel. Die Lage und verkehrstechnisch ungünstige Struktur wird diese auch kaum entstehen lassen. Nur im Großraum Iraklion gibt es eine kleine Industrie, die sich mit der Verarbeitung der heimischen Produkte wie Oliven und Trauben beschäftigt. Daneben hat der wachsende Tourismus auch den Bau neuer Häuser und Einrichtungen boomen lassen, so dass einige Bauunternehmen Arbeit für Kreter anbieten.
Mittlerweile spielt Kreta für die Wirtschaft Griechenlands schon eine wichtige Rolle. Immerhin kommt doch fast ein Fünftel des gesamtgriechischen Einkommens von dieser Insel.
Durch die begrenzten Möglichkeiten der Beschäftigung in der Industrie lebt aber immer noch ein großer Teil der Bevölkerung von der Landwirtschaft. Während nur ein Viertel aller Griechen in der Landwirtschaft tätig ist, sollen es auf Kreta wohl noch mehr als die Hälfte aller Erwerbstätigen sein, wobei diese Zahlen statistisch nur bedingt stimmen, da die Kreter meist mehr als einer Beschäftigung nachgehen.
Uns geht es heute um das u.E. wirkliche Rückgrat der kretischen Wirtschaft, das immer noch irgendwie die Landwirtschaft zu sein scheint.
Wer hätte sich nicht schon mal über die – verglichen mit nord- und mitteleuropäischen Standards – doch ziemlich günstigen Preise gewundert, die einem nach einer Quasi-Völlerei in einer kretischen Taverne präsentiert werden? Da fragt man sich schon, wie das wohl sein kann, dass man bei einer „Parea“ von 2, 4, 6 oder noch viel mehreren Menschen gerade mal auf einen Preis von definitiv unter 10€ kommt
Selbst wir, die wir ja nun mal dauerhaft, also ganzjährig auf der Insel leben, sehen uns manchmal mit der Entscheidung „auswärts essen oder zu Hause kochen“ konfrontiert. Nun ist bei uns meist der zeitliche Faktor ausschlaggebend (wenn nach 13h, dann „auswärts“ essen!), aber immer wieder sagen wir uns auch, dass es oft genug günstiger ist, in einer Taverne zu essen, als selbst einzukaufen und zu kochen. Und mindestens ebenso oft haben wir uns schon gefragt, woran das wohl liegen mag.
Die Antwort bekamen wir bereits vor vielen Jahren – und zwar von Eftychis Aligyzakis, der damals die Taverne „Akropolis“ sein eigen nannte. Auch da waren die Preise einfach unschlagbar – und das lag nicht unwesentlich an der Tatsache, dass Eftychis (er betreibt heute die Lotto-Annahmestelle in Paleochora) seine eigene „kleine Farm“ betrieb. Denn von dort kamen fast alle Zutaten für die Gerichte, die er auf seiner Speisekarte feilbot, also sämtliches Gemüse und Salatzutaten, das gute Olivenöl, Ziege, Lamm, Schwein und Huhn. Ach ja, und Eier natürlich. Laut eigenem Bekunden kaufte Eftychis lediglich Brot, ggf. mal Fisch, Wein („mein eigener scheint den Touristen nicht so recht zu schmecken….“) und Softdrinks ein – alles andere kam aus eigener Produktion. Das erklärt(e) natürlich einiges!
Und so ist es auch heute noch in vielen Restaurants, weswegen wir uns bemüßigt fühlten, mal tiefer in die Tiefen der kretischen Landwirtschaft einzutauchen. Landwirtschaft damals und heute – mit Sicherheit heute mindestens auf Platz 2 der kretischen Wirtschaftsleistung.
Landwirtschaft damals und heute
Die Formen der Landnutzung auf Kreta resultieren natürlich vorwiegend aus den Faktoren Geologie, Relief und Klima. Die zahlreichen und relief-zerfurchten Gebirge der Insel „zerstückeln“ quasi die Agrarlandschaft. Infolge dieser „Zerstückelung“ existieren drei Nutzungsgebiete: die Küstengebiete, die Täler und die Ebenen.
Herausragende Bedeutung besitzt hierbei die Messara-Tiefebene mit einer Länge von 50 km und bis zu 8 km Breite. Dort finden sich auch die ältesten archäologischen Hinweise einer Ackerkultur auf Kreta. Ein großes Problem des Feldbaus auf Kreta bildet die Wasserversorgung. Obwohl im Winter meist ausreichend Regen und in den Bergen auch Schnee fällt, leidet der größte Teil der Insel unter Wassermangel. Der meiste Niederschlag verschwindet in den stark verkarsteten Gebirgen für immer. Der Rest tritt aus Karstquellen an den Gebirgsrändern wieder aus. Es gibt auf Kreta nur wenige permanente Gewässer. Im Sommer sind die meisten Täler Trockentäler, aus denen aber im Winter genre mal reißende Bäche werden.
Geschichte der Landnutzung
Der Feldbau
Seit dem Beginn des Feldbaus auf Kreta ist die Agrarlandschaft von der mediterranen „Trias“ geprägt. Durch den Anbau von Weizen, Oliven und Wein wurde die Ernährungsgrundlage gelegt. Begleitend wurden Schafe und Ziegen gehalten und Gemüse kultiviert. Obwohl die klassische Dreiheit eine Form der Subsistenz- also Selbstversorgungswirtschaft ist, produzierte Kreta während der Antike soviel Getreide, daß dieses in die großen Städte wie Athen und später Rom exportiert wurde. Bis an das Ende der Venezianerzeit konnten die Bewohner Kretas sich selbst versorgen. Erst mit Beginn der Türkenherrschaft 1669 änderte sich dies, da viele Felder nicht mehr bebaut wurden. Seit dem ist Kreta in zunehmenden Maße von Getreideeinfuhren abhängig.
Die Weidewirtschaft
Schon seit vorgeschichtlicher Zeit sind Schafe und Ziegen die verbreitetsten Weidetiere. Sie sind aufgrund ihrer relativen Bedürfnislosigkeit das ideale Weidevieh für die kargen Weidegründe Kretas. Sie liefern heute noch den Bewohnern Fleisch, Milch, Käse, Wolle sowie Felle und Haut.
In Südgriechenland hat sich bereits im Mittelalter, in Kreta erst nach 1669, eine spezielle Form der Fernweidewirtschaft gebildet. Infolge der Besetzung der Insel durch die Türken flohen viele Kreter vor den Unterdrückern in die Gebirge. Dies führt zu einer Abkehr vom Ackerbau und einer Hinwendung zur Viehhaltung. Es wurden eine Reihe von neuen Dörfern gegründet, die meist auf Höhen um 1000 m lagen. Sie boten Schutz, waren aber noch auf einer Höhe, in der auch Ackerbau zur Selbstversorgung möglich war.
Die primäre Form der Landwirtschaft war nun aber die Viehwirtschaft. Im Sommer wurden die Schafe und Ziegen oberhalb der natürlichen Waldgrenze in der Nähe von Almen gehalten. Im Winter zogen die Herden in die Niederungen, wobei die Wanderung am Stammdorf unterbrochen werden konnte. In die Niederung zog die ganze Familie mit und wohnte dort in der sogenannten Kaliwiasiedlung. Diese bestand nur aus leichten Feldhütten.
Nach dem Ende der Türkenbesetzung wurden die Niederungen wieder verstärkt ackerbaulich genutzt. Langsam zogen die Familien vom Stammdorf auf Dauer in die Kaliwiasiedlung. Oft teilten sich die Familien, eine Hälfte widmete sich weiterhin den Herden, die andere wandte sich dem Feldbau zu.
Heute ist die Kaliwiawirtschaft fast ganz verschwunden. Die Stammdörfer sind oft verlassen oder zu Almen umgewandelt. Um sie herum liegen oft noch die alten, jetzt nicht mehr genutzten Terrassen des Getreideanbaus. Dort, wo die Stammdörfer erhalten geblieben sind, liegen heute häufig zwei Dörfer mit ähnlichem Namen übereinander.
Waldnutzung
In vorgeschichtlicher Zeit war die Insel von ausgedehnten Wäldern bestanden. Seit Beginn des Ackerbaus begann die Vernichtung der natürlichen Wälder. Besonderer Bedarf entstand durch den massiven Schiffsbau unter den Minoern und später der Athenern und Römern. Dazu kam der ständige Bedarf an Brennstoff in Form von Holzkohle.
Manche Historiker verbinden das Ende der Minoerkultur mit einem Holzmangel auf der Insel. Dies ist aber unwahrscheinlich, da in den folgenden Jahrhunderten bis zur Römerzeit immer wieder auf Kreta als Holzquelle verwiesen wird. Iim 1. Jahrhundert nach Christus allerdings empfahl Plinius der Ältere dem römischen Staat und der Holzwirtschaft eine Umorientierung vom Ost- in den Westmediterranraum, da die östlichen Waldreserven bald aufgebraucht seien. Daraus läßt sich auch für Kreta folgern, daß damals die Waldbedeckung nur noch gering war.
Bemerkenswert ist, daß Griechen und Römer gewisse Formen der Forstwirtschaft kannten. So wurde an manchen Orten eine Art Förster angestellt, der für kontrollierten Holzeinschlag und Neupflanzungen zuständig war. Heilige Wälder, die es an vielen Orten gab, waren völlig geschützt.
Auch manchem Römer war der Schaden durch den massiven Holzeinschlag im Mittelmeerraum bewußt, wie z.B. Wassermangel aufgrund der Abholzung.
Im Mittelalter wunden schließlich auch die heiligen Wälder abgeholzt. Intensive Beweidung und Holzkohlegewinnung, auch mit Hilfe von Zwergsträuchern, haben vielerorts zu Erosion der Bodenkrume und damit dauerhafter Schädigung geführt, die auch heute noch allgegenwärtig ist.
Landnutzung heute
Nur etwa ein Drittel der gesamten Bodenfläche Kretas ist landwirtschaftlich nutzbar. Die steinigen, nährstoffarmen Böden sowie die hügeligen Flächen lassen die Landbewirtschaftung zu einem schwierigen Unterfangen werden. Dazu kommt noch der häufige Wassermangel. Außer Oliven gedeiht auf Kreta Gemüse und Obst verschiedenster Art, das Großteils nach Mitteleuropa exportiert wird. Getreide und Kartoffeln werden kaum angebaut.
Heute muss Kreta Getreide einführen, während die Insel noch im Altertum als die Kornkammer der Region galt. Wie aber auch schon vor Hunderten von Jahren gelten immer noch Oliven und Wein als die Quelle von Reichtum und Wohlstand von Kreta. Über 50.000 Tonnen Olivenöl werden allein jährlich nach Mitteleuropa exportiert, wobei etwa die gleiche Menge auf der Insel selbst verbraucht wird.
Der Obstanbau ist mit 2 % flächenmäßig vernachlässigbar. Die Orangen, Mandarinen und Zitronen stammen vor allem von Plantagen an der westlichen Nordküste.
Die besondere Spezialität Kretas sind jedoch Bananen, welche eine besondere Sorte darstellt, klein, fest und süß. Diese Bananensorte stammt aus dem Nahen Osten und wird vorwiegend im Osten (bei Malia und Ierapetra) der Insel in Gewächshäusern angebaut.
Der Anbau von Gemüse und Bananen wird jährlich gesteigert und geht leider mit einem großen Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden einher.
Betriebsgrößen
Die nutzbare Fläche der landwirtschaftlichen Betriebe in Westkreta liegt bei durchschnittlich 2,5 ha. Die Parzellen liegen oft sehr verstreut. Diese Gegebenheiten erschweren eine effektivere Nutzung enorm. Sie ist primär in dem Brauch der Realerbteilung begründet. Diese Realerbteilung bedeutet, dass der Besitz einer Familie, insbesondere der Landbesitz, unter den Erbberechtigten gleich aufgeteilt wird. Diese Aufteilung findet bei jedem Erbgang statt, sodass – u.a. aufgrund der traditionell vielen Kinder – die Anzahl von Kleinstparzellen mit der Zeit ansteigt, die es sich irgendwann gar nicht mehr zu bewirtschaften lohnt.
Die Abneigung, Land zu verkaufen, ist in Griechenland weit verbreitet. Landbesitz gilt als letztlich einzige Sicherheit im Leben. Daher gab und gibt es für Bauern kaum die Möglichkeit ihren Besitz zu vergrößern. Die im Zuge der Landflucht abgewanderten Familien behalten meist ihr Land und pflanzen dort wenig Pflege bedürftige Dauerkulturen wie Olivenbäume.
Baumkulturen
Heute sind 7% von Westkreta waldbedeckt. Die Wälder liegen in schwer zugänglichen Lagen wie in schluchtartigen Tälern und an steilen Hängen. Diese Wälder werden heute meist geschützt, da ihr ökologischer Wert inzwischen allgemein bekannt ist. Größere Wiederaufforstungen scheitern bisher an den Viehzüchtern und privaten und kommunalen Besitzverhältnissen.
50% der Landnutzungsfläche Westkretas ist Baumland, wobei 81% dieser Fläche von Ölbaumkulturen eingenommen wird. Zitrusfrüchte besitzen einen Anteil von 12% und die restlichen 7% verteilen sich auf diverse Kulturen wie Eßkastanie, Walnuß, Mandel, Pfirsich, Apfel und Johannisbrotbaum.
Ölbaum
Ölbäume sind sehr frostempfindlich und kommen daher auf Kreta nur bis auf eine Höhe zwischen 600 und 800 m vor. Sie brauchen nur 300 mm Niederschlag in Jahr und haben nur geringe Bodenansprüche. Im Alter von 20 Jahren sind sie voll ertragsfähig. Die Bäume werden mehrere hundert Jahre alt. Alle zwei Jahre liefern sie eine volle Ernte.
Heute gibt es auf Kreta unzählige Ölbäume – Schätzungen zufolge liegt die Anzahl zwischen 30 und 35 Millionen Bäumen – gezählt hat sie wohl noch keiner so wirklich. Der Anbau nimmt heute zu, da Olivenöl ein wichtiges Exportgut der Insel darstellt. Durch Verbesserung des Anbaus und der Züchtung ist die Phase der Unproduktivität auf 4-5 Jahre minimiert worden, so daß der Olivenbaum-Anbau auch für viele Kleinbauern noch attraktiver geworden ist.
Zitrusfrüchte
Zitrusfrüchte, auf Kreta meist Orangen, Zitronen und Mandarinen, werden auf Plantagen im Bewässerungsfeldbau kultiviert. Nach drei Jahren tragen die Bäume erste Früchte und bringen nach fünf Jahren Vollerträge. Wie der Ölbaum sind die Agrumen frostempfindlich. Das Hauptzentrum des Anbaus liegt in der Gegend um Chania.
Andere Baumkulturen
Der früher nach den Zitrusbäumen wichtigste Baum, der Johannisbrotbaum, ist heute von geringerer Bedeutung. Seine Früchte dienen nur als Viehfutter und können industriell verwendet werden. In den Schiefergebieten im Westen Kretas werden Eßkastanien und Walnußbäume kultiviert. In bewässerten Tälern stehen oft Pfirsich- und Aprikosenbäume.
Acker- und Gartenbau
Zur Deckung des Bedarfs der regionalen Märkte auf Kreta werden zahlreiche Gemüse angebaut. Größtenteils geschieht dies in Form des Bewässerungsfeldbaus oder auch und immer mehr in Plastik-Gewächshäusern.
Im Tiefland werden Kartoffeln mit Bewässerung, im Gebirge meist im Trockenfeldbau kultiviert.
Fast jeder landwirtschaftliche Betrieb auf Kreta baut Wein an. Vielfach dient er dem Eigengebrauch, aber auch mittlerweile sogar international renommierte Winzer haben sich hier spezialisiert und exportieren kräftig.
Die höhenmäßigen Grenzen des Weinanbaus liegen bei 1200m. Außer für Wein werden die Früchte als Tafeltrauben oder als Rosinen vermarktet. Der Schwerpunkt der Rosinenproduktion liegt in Mittel- und Ostkreta.
Viehwirtschaft und Fischerei
Auf Grund des erhöhten Fleischbedarfs infolge des Tourismus wird immer mehr Vieh gehalten. Die Viehzucht von Schafen und Ziegen ist mittlerweile ebenfalls ein bedeutender Zweig der Wirtschaft geworden, zumal fast die Hälfte der Insel als Weideland verfügbar ist. Allerdings stehen rund ca. 300.000 Ziegen und 2 Millionen Schafen ca. 80.000 Schweine und weniger als 20.000 Rinder gegenüber (aber wer hätte sie jemals gezählt?).
Durch den Rückgang der Fischbestände im Mittelmeerraum ist die einstmals stolze Fischerei in ihrer Existenz bedroht. Die Ägäis ist weitgehend leergefischt und so hat der Import von Fisch enorme Ausmaße angekommen, so dass ein großer Teil der servierten Meerestiere überhaupt nicht aus den Gewässern um Kreta stammt.
Moin und Kalimera, auf Kreta gibt es einige interessante Ansätze selbstorganisierter Netzwerkarbeit im Agrarsektor, z.B. die Integral Cooperative Heraklion.
Zusammen versuchen die Aktivisten, der kapitalistischen Agrarwirtschaft eine solidarische und ökologische Alternative entgegenzustellen.
Der Artikel gibt einen Einblick in den Aufbau eines nicht-kapitalistischen „Produzenten-Konsumenten“-Netzwerk.
http://lowerclassmag.com/2017/02/artikelserie-zu-anarchistischen-und-libertaeren-perspektiven-auf-selbstorganisierung-und-kapitalistischer-krisenverwaltung-in-griechenland-57-kollektivbetriebe-im-agrarsektor-kretas/
schönes Wochenende, kv