Das Elend zwischen Donald und Dagobert Duck

Von Patrick Spät

Die vielbeschworene soziale Schere driftet in Deutschland und anderen westlichen Staaten massiv auseinander. Wenn nicht bald das Geld von oben nach unten umverteilt wird, kollabiert das gesamte System. „Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt.“ Das ist eigentlich eine Binsenweisheit. Der zutreffende Satz stand im ersten Entwurf des Armutsberichts der Bundesregierung, fiel dann aber dem neoliberalen Radiergummi zum Opfer.

Auch folgende Aussagen des Armutsberichts zur Entwicklung der Löhne hat die schwarz-gelbe Regierung kurzerhand gestrichen: „Während die Lohnentwicklung im oberen Bereich positiv steigend war, sind die unteren Löhne in den vergangenen zehn Jahren preisbereinigt gesunken. Die Einkommensspreizung hat zugenommen. [Es] arbeiteten im Jahr 2010 in Deutschland knapp über vier Mio. Menschen für einen Bruttostundenlohn von unter sieben Euro.“ Diese auseinanderklaffende Schere verletze „das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung“ und könne „den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden“ – auch diese Sätze sucht man nun vergebens. Beim aktuellen Armutsbericht hat die schwarz-gelbe Bundesregierung die soziale Realität schlichtweg ignoriert.

Die gegenwärtige Verteilung des Geldes in der westlichen Welt ist so gerecht wie die Vermögensverhältnisse zwischen Donald und Dagobert Duck – von den Entwicklungsländern ganz zu schweigen. Wie viel Geld Dagobert bunkert, weiß niemand so genau. Doch die Zahlen der realen Welt sprechen für sich: In Deutschland zum Beispiel besitzen die oberen 10 Prozent über zwei Drittel des Gesamtvermögens. Schlimmer noch: Die reichsten 0,1 Prozent (also weniger als 70.000 Bundesbürger) horten knapp ein Viertel des Gesamtvermögens. Und um die Zahlenspiele weiterzutreiben: Die oberen 0,5 Prozent (also um die 350.000 Bundesbürger) besitzen gemeinsam so viel Vermögen wie die unteren 90 Prozent (also um die 63.000.000 Bundesbürger).

Deutschland ist hinter den USA und Japan auf Platz drei der meisten Dollar-Millionäre – die drei Staaten beherbergen rund 53,3 Prozent aller Millionäre weltweit. Und ihre Zahl steigt, trotz Bankenkrise, weiter an: 2011 gab es in Deutschland drei Prozent mehr Millionäre als noch im Vorjahr, ein Anstieg von 923.900 auf 951.200 Personen.

Die reichsten 356 Familien weltweit besitzen rund 40 Prozent des Reichtums der Menschheit
Wohin man blickt, klafft die soziale Schere himmelhochjauchzend auseinander: Die oberen 1 Prozent der US-Amerikaner (also jener Teil der Bevölkerung, der den unteren 99 Prozent der Occupy-Bewegung entgegensteht) verdient ein Viertel des gesamten Einkommens und besitzt die Hälfte aller Wertpapiere und die Hälfte des gesamten nationalen Vermögens. Und die reichsten 356 Familien weltweit bunkern gegenwärtig rund 40 Prozent des Reichtums der Menschheit.

Kein Wunder, dass Leute wie der Kölner Wirtschaftsprofessor Christoph Butterwege vor einer „Existenzkrise“ warnen. Die ärmere Hälfte der Deutschen besitzt nur ein Prozent des gesamten Vermögens und lebt nach Meinung Christoph Butterwegges „von der Hand in den Mund. Wer den Reichtum nicht antasten will, kann die Armut überhaupt nicht verringern.“ Klare Ansage: Es ist ja nicht so, dass es kein Geld mehr gäbe für die Armen und Ärmsten. Es liegt auf den Konten der Top-Manager, Börsenhaie, Erb-Millionäre, Spitzensportler und Promis.

Für den Otto-Normal-Verbraucher gibt es keine Rettungsschirme
Den „Wohlstand für alle“, von dem Ludwig Erhard einst sprach, kann es nur geben, wenn man bei den oberen kräftig zulangt. Das mindeste wäre die längst überfällige Anhebung des Spitzensteuersatzes. Unter Helmut Kohl lag dieser Satz noch bei 56 Prozent, im Zuge der „Agenda 2010“ und im Lauf der Jahre purzelte der Spitzensatz auf die heutigen 42 Prozent (ab einem Einkommen von 250.000 Euro jährlich zahlt man derzeit 45 Prozent). Weitere Vermögensabgaben, wie sie jüngst in Frankreich eingeführt wurden, gibt es hierzulande nicht – in Frankreich zahlt man 75 Prozent Steuern, wenn man eine Million Euro oder mehr pro Jahr verdient.

Purer Neid auf die Reichen? Mitnichten. Denn selbst die Reichen haben – wenn sie eins und eins zusammenzählen können – erkannt, dass solche Abgaben notwendig sind, wenn das System nicht kollabieren soll: Wenn Warren Buffett und gleichgesinnte Milliardäre eine Reichensteuer fordern, dann machen sie das nicht nur aus Barmherzigkeit. Vielmehr wissen sie, dass der heutige Turbokapitalismus zwangsläufig die Finanzsysteme und damit auch ihre eigenen Vermögen und Firmen ins Straucheln bringt. Wenn die unteren 99 Prozent nichts in der Tasche haben, können sie auch nicht das konsumieren, was die oberen 1 Prozent verkaufen wollen. Die westlichen Regierungen – zumal unsere lethargische Bundesregierung – haben dieses Angebot freundlich-liberal ausgeschlagen … und jammern uns allabendlich in den Nachrichten vor, dass kein Geld zur Verfügung stehe. Bullshit!

Wir alle ahnen, dass eine neue „Stunde Null“ naht: Das Finanzsystem röchelt nach Atem – und wird bald an seiner eigenen Ungerechtigkeit ersticken. Nicht mal einen flächendeckenden und angemessenen Mindestlohn bekommen die Damen und Herren Volksvertreter gebacken – aber die Top-Manager der deutschen Banken dürfen fleißig einen Stundenlohn von 6.000 Euro einsacken. Und das, obwohl in Deutschland mittlerweile jeder fünfte Beschäftigte im Niedriglohnbereich arbeitet, also für weniger als 10,36 Euro brutto pro Stunde.

Wer ist davon konkret betroffen? Fast 90 Prozent der Taxifahrer arbeiten für einen Niedriglohn, nicht besser sieht es aus bei Friseuren und Kosmetikern (85,6 Prozent), Reinigungskräften (81,5 Prozent) oder in der Gastronomie (77,3 Prozent). Hätte das Statistische Bundesamt auch noch Studenten und Kleinbetriebe mit weniger als zehn Beschäftigten erfasst (beide fallen aus der Statistik heraus), wären die Zahlen wohl noch alarmierender ausgefallen.

Für den Otto-Normal-Verbraucher gibt es keine Rettungsschirme. Wenn er oder sie pleite ist, fliegt er aus seiner Wohnung raus und stürzt ins Bodenlose. Allein in Spanien wurden bereits 500.000 Zwangsräumungen vollstreckt, während dort gleichzeitig Millionen von Eigentumswohnungen leer stehen. Kann uns nicht passieren? Die Zahl der Zwangsräumungen nimmt auch in Deutschland rasant zu; allein in Berlin werden derzeit jeden Tag 22 Wohnungen zwangsgeräumt.

Wenn Donald keine Arbeit mehr findet
Die sozialen Spannungen werden sich in den kommenden Jahren zunehmend verschärfen: Nach einer Prognose des Statistischen Bundesamts wird Deutschland im Jahr 2030 einen Rentneranteil von rund 30 Prozent haben (genau genommen handelt es sich um den Anteil der über 65-jährigen).

Die Altersarmut wird zunehmen – und die Frage, wer die Renten finanzieren soll, drängt sich immer massiver auf. Da hilft auch keine Rente mit 69 Jahren, wie sie derzeit neoliberale Politiker anpeilen. Irgendwann haben sich die Leute schlichtweg kaputtgearbeitet – wenn sie denn überhaupt Arbeit hatten. Denn wir leben in einer Ära des Kapitalismus, in der die Produktivität der Arbeit dermaßen hoch ist, dass immer weniger Arbeiter gebraucht werden.

Die Massenarbeitslosigkeit in Südeuropa ist nur ein Vorgeschmack auf das große Fressen, das uns noch bevorsteht. Der US-Ökonom Jeremy Rifkin prophezeite das Ende der Arbeit bereits 2005, also lange vor der 2008 eintretenden Bankenkrise, die eigentlich nur der Höhepunkt einer kapitalistischen Dauerkrise ist, die spätestens mit der Ölkrise von 1973 einsetzte: 1970 betrug die Arbeitslosenquote in Westdeutschland noch sage und schreibe 0,7 Prozent. 1975 lag sie bereits bei 4,7 Prozent. Aber zurück zu Rifkin, der unzweideutig feststellt:

Wir sind mitten in einer Umwälzung, die die industrielle Revolution noch übertrifft. Durch die ersten Mechanisierungsschübe verloren Millionen von Menschen ihre Jobs und wanderten vom Land in die Städte, um dort mit den Maschinen zusammen zu arbeiten. Aber die Computer und Informationstechnik von heute machen immer mehr Menschen ganz überflüssig. Selbst die billigste menschliche Arbeitskraft ist teurer als die Maschine. […] Die Arbeit verschwindet. Das will kein Politiker seinen Wählern erzählen. Statt dessen betet man immer wieder dieselben drei Pseudotheorien herunter. […] Erstens: Wir verlieren in unserem Land Jobs, weil die bösen Unternehmer Stellen ins Ausland verlagern. Zweitens: Wir haben genug Jobs, die Leute sind nur nicht richtig ausgebildet. Und drittens: Wir haben zu wenig Jobs, weil die Sozialabgaben zu teuer sind. Alle drei Argumente sind absurd. (Rifkin in der Stuttgarter Zeitung)

Die Arbeit geht uns nicht deshalb aus, weil wir zu blöd sind oder zu viel Steuern blechen. Die meisten werden über kurz oder lang keine Arbeit finden, weil über kurz der Kapitalismus kollabiert oder über lang Maschinen unsere Arbeitskraft ersetzen. Schon jetzt sind über eine Milliarde Menschen weltweit unterbeschäftigt oder ganz erwerbslos, Tendenz steigend. Dagobert geht’s (noch) gut. Aber wenn Donald keinen Job hat, wird auch Dagoberts Speicher ziemlich schnell leer werden.

Quelle und hier geht es weiter: Heise.de


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Patrick Spät

Der promovierte Philosoph ist Mit-Herausgeber der Bücher “Zur Zukunft der Philosophie des Geistes” (2008) und “Post-Physikalismus” (2011) sowie Autor des Buches “Der Mensch lebt nicht vom Hirn allein” (2012). Patrick Spät studierte in Freiburg Philosophie, Soziologie und Literaturgeschichte. Er arbeitet als freier Autor für das Philosophie Magazin, Psychologie Heute und andere Medien. Spät lebt in Berlin.