Das neue Griechenland – Teil 2 – Tourismus

Das neue Griechenland
„Die billigste Investition in die Wirtschaft Griechenlands ist der Tourismus“
Da stimmen viele zu. Auf einem Wirtschaftskongress nicht weit vom Bürgermeisteramt versammeln sich Unternehmer aus Nordgriechenland. Hier ist wenig zu hören von dem Athener Gejammer über die Programme der EU und des Internationalen Währungsfonds. Es ist ein Kongress gegen die erstarrte Hauptstadt Athen, gegen den handlungsunfähigen Zentralstaat, eine liberale Kritik an verfetteter Administration. Die Redner holen aus gegen die Politiker der großen Parteien, die seit Jahren Reformen sabotieren, gegen die Klientelwirtschaft, gegen die sinnlose Verschwendung von EU-Ressourcen.

»Der Staat ist unsere Krise«, sagt der Wirtschaftsprofessor Moise Sidoropoulos. Auf der Bühne fordern Redner, die Griechen sollten aufhören, »von einem warmen Staatsjob zu träumen«. Manche schlagen vor, die EU solle Beamte in die griechischen Ministerien entsenden, andere empfehlen ihrem Land als Unterstützung Berater aus Amerika. Die Art des Wirtschaftens solle sich ändern. »Wir wollen keine Geschäftsleute, die staatlichen Schutz suchen, wir wollen Unternehmer, die auf den Markt gehen und kämpfen«, ruft einer. Das klingt richtig mutig. Was wäre denn der Markt der Griechen?

Moise Sidoropoulos präsentiert eine respektable Liste. Die großen Flotten griechischer Reeder müssten durch Senkung von Steuern und Abgaben nach Griechenland zurückgeholt werden – Schifffahrt als Wachstumsfaktor. Die Erzeugung alternativer Energie solle ins Land: Wind und Sonne habe Griechenland im Überfluss. Griechenland verfüge über eine kleine, aber schlagkräftige Pharmaindustrie, die sich auf Generika spezialisiert habe. Die Landwirtschaft müsse mehr Qualitätsprodukte exportieren, Fischfarmen müssten die überfischten Meere entlasten. Der wichtigste Wirtschaftszweig aber sei der Tourismus. Die Ressource ist die Schönheit des Landes.

Das sieht Yannis Boutaris ganz genauso. Als Bürgermeister versucht er, das etwas unscharfe Bild von Thessaloniki im Ausland aufzufrischen. Festivals, Kulturereignisse und gezielte Tourismuswerbung sollen mehr zahlungskräftige Ausländer in die Stadt bringen. »Die billigste Investition in die Wirtschaft Griechenlands ist der Tourismus, weil wir die wichtigsten Dinge schon haben.« Boutaris wuchert mit der reichen Vergangenheit, auch mit den Hinterlassenschaften der Römer und Byzantiner: antiken Kirchen, Triumphbögen, Amphitheatern, Stadtmauern. Bis 1913 gehörte Thessaloniki zum Osmanischen Reich. Bis zur Ermordung durch die Deutschen lebten viele Juden in Thessaloniki. Also wirbt Boutaris speziell um Türken und Israelis. Er überzeugte Fluggesellschaften, direkte Verbindungen aus Istanbul und Tel Aviv einzurichten. Die Besucherzahlen steigen rapide. Er versucht, Kreuzfahrtschiffe anzulocken. Neulich besuchte Boutaris Hamburg, um von dessen Erfolgen mit großen Pötten zu lernen.

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Doch in Deutschland fand er noch mehr Nachahmenswertes. Während viele Athener Politiker guten Rat aus der EU irgendwie als lästig empfinden, schaute sich Boutaris die Müllwirtschaft deutscher Städte an. Für die Lösung des Müllproblems in Thessaloniki hat er wenig vorzuweisen. Die Müllfrage dürfte für seine Wiederwahl jedoch genauso entscheidend werden wie die wirtschaftliche Wiederbelebung der Stadt. Boutaris, der Selfmademan, hält nicht zuletzt eine bessere Ausbildung für überlebenswichtig. Die Herstellung von landwirtschaftlichen Spitzenprodukten etwa erfordere entsprechendes Know-how. Dazu müsse man nicht an der Universität promovieren. Aber: »Wir brauchen Fachhochschulen und Berufsschulen – wie in Deutschland«, sagt Boutaris.

Früher, lange Zeit vor Boutaris, waren einmal die USA das Vorbild. So ist denn auch die einzige landwirtschaftliche Berufsschule in der Großstadt die American Farm School. Gegründet wurde sie 1904 von einem US-Missionar aus Pennsylvania, heute ist sie so etwas wie das Agrikultur-Harvard Griechenlands. Die Absolventen dieser Schule finden alle einen Job, viele haben erfolgreiche Unternehmen gegründet. Deshalb ist die Farm School hoch gefragt, die Auswahl streng. Zu lernen sind Fächer wie Käserei, Biolandwirtschaft, Gartendesign, Pilzkultivierung, Winzerei, Schneckenzucht und vieles mehr.

Also: zurück aufs Land? Der Ausbildungsdirektor der Farm School, Vangelis Vergos, wehrt ab. »Landleben ist harte Arbeit, das Dorfleben setzt enge Grenzen, die für Menschen aus der Stadt schwer erträglich sind.« Eine Mischung hat vielleicht mehr Zukunft: arbeiten auf dem Land, leben in der Stadt. Yannis Boutaris steht dafür. Der langjährige Winzer ist ein Stadtmensch.

»Ich liebe Abgase«, witzelt er. Für die Mischung aus Idylle und Moderne steht auch das Weingut Kir-Yanni. Sein Sohn hat mit einem knorrigen griechischen Landwirt nichts mehr zu tun. Natürlich muss der Wein angebaut, gepflegt, geerntet, gekeltert, kultiviert werden. Aber daneben jagt Stellios Boutaris über Weinmessen in Europa und Amerika. Seinen Wein will er nun auch nach China verkaufen. Längst hat er das E-Shopping über das Internet eingeführt. Der Kir-Yanni-Tropfen kommt künftig per Mausklick ins Haus.

So könnte das neue Griechenland aussehen. Wenn die Rechnung aufgeht.

Quelle: Die Zeit

Das  neue Griechenland: Teil 1