Die Geschichte Kretas aus Sicht eines Philatelisten

Die Geschichte von KPHTH
(unter Berücksichtigung südlichen Zuckerzeugs)

Eine große Insel im östlichen Mittelmeer, um deren Herrschaft sich ein christlicher und ein muslimischer Bevölkerungsteil, jeweils begünstigt von Griechenland und der Türkei streiten, so dass diese beiden Staaten, unter den wachsamen Augen ganz Europas, an den Rand des Krieges geraten – muss das nicht Zypern sein?

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Nein, muss es gar nicht, und das ist ein erneuter Beweis für die erschreckende Kürze des menschlichen Gedächtnisses, denn die Rede ist von den mit größter Erbitterung ausgetragenen Streitigkeiten auf Kreta.
Nie, selbst in Bosnien nicht, sind die beiden Bekenntnisse in Europa mit solchem Ingrimm aufeinandergetroffen wie hier, sieht man einmal von den Ereignissen um die zweimalige Belagerung Wiens durch die Türkischen Heere und den damit verbundenen Schrecken in all den Städten ab, die am Wege der Armeen der Hohen Pforte zu liegen das Pech hatten.

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Als das griechische Festland schon zwei Jahrhunderte türkisch war, hielten auf Kreta immer noch die Venetianer aus, mehr oder weniger unbehelligt vor allem deshalb, weil die türkischen Sultane erst allmählich den Aufbau einer schlagkräftigen und den Venetianern überlegenen Flotte ins Werk setzen konnten.
Bevor das gelungen war, begann schon die Suche nach einem Vorwand zur Intervention, der sich dann bald auch fand, höchst romantisch zwar, aber deshalb nicht weniger erfreulich, jedenfalls für die türkische Regierung:

Es begab sich nämlich, dass der Aga der Verschnittenen, also der Eunuchen, und, mutmaßlich, die Favoritin des Sultans mit ihrem Sohn auf der Flucht vor ihrem Herrn in einen kretischen Hafen einliefen. Wer sich über dieses Paar aus verschiedenen Gründen wundert, verkennt offensichtlich die Herrschaftsstrukturen, in denen vor allem aus dem Harem heraus nachdrücklich Politik betrieben wurde.
Jedenfalls war diese Landung sofort Anlass zu einer weiteren, diesmal kamen aber nicht nur drei Personen, sondern gleich eine gewaltige Streitmacht auf die Insel, die damals noch Kandia hieß.
Sie dürfen, eine kleine Abschweifung sei erlaubt, zwischendurch getrost an kandierte Früchte und Kandiszucker denken, die von hier ihren Namen haben. Soviel zum zweiten Teil des Titels.

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Nun hat aber auch ein alter Löwe durchaus noch Zähne, selbst nach der jahrelangen Vertilgung solcher Früchtchen, und die Venetianer dachten gar nicht daran, wegen angeblicher Liebeshändel sogleich das Feld zu räumen, sondern verbarrikadierten sich umgehend in ihrer Hafen-/ Hauptstadt Kandia, relativ ungestört noch von der mickrigen türkischen Seestreitmacht.

Was folgte, war eine mehr als zwanzigjährige Belagerung der Hauptstadt, mit einer dreijährigen heißen Schlussphase. Als Kandia am 27. September 1669 kapitulierte, waren 30.985 Christen und 118.754 Moslems getötet oder verwundet worden. Der gerade in Venedig amtierende Doge, dem wir diese Zahlen verdanken, nannte das „keine ganz schlechte Bilanz“. Bei der Einnahme fand man noch 2.500 Kämpfer vor, die freien Abzug erhielten, was damals in Europa wohl nicht passiert wäre.

In Meyers Konversationslexikon von 1835 heißt es dazu „Ihre Verteidigung muss als eine der tapfersten, welche die Geschichte kennt, den spätesten Jahrhunderten zum Muster dienen, und zeigt zugleich, was selbst in Zeiten, wo die europäische Kriegskunst unvollkommen, das türkische Reich dagegen in seiner Blüte war, christliche Tapferkeit gegen osmanische Wut und Mehrzahl vermochte.“ Man schrieb offenbar noch unter dem Eindruck des hellenistischen Freiheitskampfes dieser Jahre und war etwas parteiisch.

Nach dem Sieg trat ein nicht geringer Teil der Bevölkerung sofort zum Islam über, ohne dass es ihm viel geholfen hätte, Kreta galt Ende des 19. Jhdts. als eine der am schlechtesten verwalteten türkischen Provinzen – und das wollte etwas heißen.
Die zwei Jahrzehnte von 1832 bis 1852, die es als Bestandteil Ägyptens regiert wurde, erschienen demgegenüber als Kretas „Goldenes Zeitalter“, es wurden damals sogar Versuche unternommen, den Straßenraub einzudämmen. Danach gab es eigentlich nur noch wechselseitige Massaker der christlichen und der islamischen Clans, während der Sultan darauf bedacht war, die kretische Frage, die er immer weniger unter Kontrolle hatte, als eine innere Angelegenheit behandelt zu wissen.

Seit 1896 herrschte, wieder einmal, Bürgerkrieg auf Kreta, die türkischen Truppen feuerten auf die christliche Bevölkerung, die zu Tausenden Zuflucht auf den ausländischen Kriegsschiffen suchte, die, ganz offensichtlich aus purem Zufall, in größerer Zahl dort so einfach im Wasser herumlagen.
Österreich, damals noch eine veritable Seemacht mit Interessen vor allem im östlichen Mittelmeer, war für eine Blockade; England, vermutlich ohne jegliches Interesse und wie immer vollkommen neutral, war dagegen.
Nur die allgemeine Situation war, was sie immer ist: verworren.

Da landete 1897 eine griechische Flotte, sehr zur Freude der christlichen Bevölkerung, die sogleich ein neues Blutbad unter den Muslimen anrichtete. Die europäischen Mächte, die noch Schlimmeres befürchteten, erließen ein striktes Verbot der Vereinigung Kretas mit Griechenland, einigten sich aber immerhin auf einen griechischen Prinzen als Hochkommissar. Das war zwar im Grunde ein Deutscher, aber wenn es „eng“ wird, wollte man doch lieber in der zweiten Reihe stehen.

Trotzdem musste natürlich ein „Hoheitszeichen“ her, und da waren die einfach zu beschaffenden Briefmarken recht naheliegend und vor allem deshalb nützlich, weil sich die griechischen Motive als leicht zu beschaffende Muster geradezu anboten.

1905 erhob sich eine erneute Revolte unter einem Mann namens Venizelos, der es später zum gesamtgriechischen Ministerpräsidenten bringen sollte. Er hisste, ohne Rücksicht auf internationale Absprachen, nicht nur die griechische Flagge, sondern druckte sofort auch eigene Briefmarken in dem durchaus zutreffenden Bewusstsein, damit seinen Hoheitsanspruch untermauern zu können. Die Marken dieser „Post der Aufständischen“ sind nicht besonders schwer zu bekommen, treten allerdings auf nachweisbar echten Briefen überaus selten auf.
Den angestrebten sofortigen Anschluss an das Mutterland verhinderten indes wiederum die europäischen Mächte. Nun war Kreta sieben Jahre lang, da es weder mehr zur Türkei noch auch zu Griechenland gehörte, ein eigener Staat.

Wohin er tendierte, daran lassen indes seine Briefmarken keinen Zweifel: Nicht nur sind sie griechisch „KPHTH“ – „KRITI“ beschriftet, es wimmelt auf ihnen auch von klassischen Göttern, und ihr Design folgt bis ins Einzelne den griechischen Vorbildern. Ab 1908 wurden sie sogar sämtlich mit „ELLAS“ = „Hellas“ = „Griechenland“ überdruckt, weil der Inselkongress den Anschluss an das Mutterland beschlossen hatte.
So weit war es aber noch nicht gleich, und deshalb gibt es zwei verschiedene Aufdrucke in unterschiedlichen Typen.

Eine Ausnahme bilden hier nur die aufgelegten Dienstmarken, die mit seltener Unbekümmertheit den norwegischen Freimarken nachempfunden sind. Dort, in Norwegen, erhob sich auch wütender Protest, aber was wollte man schon mit Stockfisch gegen kandierte Früchte ausrichten? Die Sache verlief natürlich dort, wo sich bis heute die Touristen aalen, im Sande.

Der größte Teil der muslimischen Restbevölkerung wanderte in dieser Zeit auf das türkische Festland aus. Die Wirren des Balkankrieges nutzte Griechenland, sich die Insel, trotz aller Widerstände, 1912 endgültig einzuverleiben, und der Londoner Vertrag von 1913 bestätigte den griechischen Besitz. Nur fünf Jahre später war Österreich keine Seemacht mehr, hatte England sich nach einer Kette der bekannten Zufälle auf Zypern eingenistet und begann das gleiche Spiel auf eben dieser Insel erneut, aber das betrifft schon wieder ganz andere Briefmarken.

Quelle: Florian Brouwers – BSV BERLINER BÄR e.V. – Briefmarkensammlerverein Berlin-Tempelhof

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