Quelle: Kurier.at
„Griechische Politiker müssen alle gehen“
Der Tiefpunkt der Krise wurde noch nicht erreicht, glaubt Michael Chalkiadakis.
Michael Chalkiadakis ist Pfarrer in Heraklion, der Hauptstadt von Kreta. Mit einem zweiten Priester betreut er die 15.000 Einwohner umfassende Pfarrei des Hl. Elefterios. Der 42-Jährige ist verheiratet und hat drei Kinder. In den orthodoxen Kirchen dürfen Pfarrer heiraten.
KURIER: Wie ist die Lage der Menschen in Griechenland?
Michael Chalkiadakis: Sie ist sehr schwierig. Die Menschen sind ein anderes Leben gewohnt. Plötzlich wird da gekürzt, dort gekürzt. Nicht nur um zehn Prozent, sondern die Gehälter werden um die Hälfte reduziert. Die Menschen können die Kredite für die Häuser nicht mehr zurückzahlen. Viele wissen keinen Ausweg. Wir unterstützen sie, so gut wir können. Leider ist die Zahl der Selbstmorde angestiegen. Während der Kriege haben wir früher den Feind gesehen. Damit konnten wir ihn bekämpfen, Jetzt sehen wir den Feind nicht. Die Leute wissen nicht, was sie tun sollen. Der Glaube ist nicht stark genug. Viele Familienväter bringen sich um.
Verbessert sich die Situation nun nach zwei Jahren Krise?
Momentan können wir nicht sagen, dass die Situation besser wird, obwohl die Politiker das behaupten. Unser Weg geht noch weiter nach unten. Ich bin zwar optimistisch, aber es geht noch einen Schritt nach unten.
Wie ist die Erwartungshaltung gegenüber Europa?
Sie ist positiv. Negativ ist die Stimmung gegenüber den Deutschen. Se sehen uns als Zahler, aber nicht als Menschen. Wir sind aber auch Menschen. Wenn wir Fehler gemacht haben, so sollen wir dafür zahlen. Aber man muss eine Formel finden, wie wir diese Krise überstehen können. Es hat keinen Sinn, den Leuten das gesamte Geld zu nehmen und sie in eine Lage zu manövrieren, wo sie sich umbringen. Es wird heute alles versteuert. Das Haus, für das bereits vor 20 Jahren Steuer bezahlt wurde. Für das Grundstück. Ich habe zum Beispiel 20 Olivenbäume, für die ich plötzlich Steuer zahlen muss. Ich muss für die Kinder Steuern bezahlen.
Wie hoch ist sie?
Das hängt von der Höhe des Gehalts ab.
Normalerweise erhält man für Kinder Unterstützung.
Das war früher so. Wer ein drittes Kind bekommen hat, erhielt früher pauschal 2000 Euro und monatlich 500 Euro, bis das Kind sechs Jahre alt war. Dazu kam das Grundkindergeld von 40 Euro. Wer jetzt drei Kinder hat, muss nun Steuern bezahlen.
Was können beispielsweise die Österreicher tun, damit hier sich hier die Lage verbessert?
Ein Land allein kann wenig machen. Alle müssen sich gegenseitig helfen. Europa ist eine Familie. Das Problem mit Griechenland gibt es schon seit Anfang der 90er-Jahre. Damals hätte die EU das Problem schon lösen können. Die Europäer tragen eine Mitschuld. Beim Thema Bestechung meinen wir, dass Siemens die Bestechung erfunden hat.
Ändert sich die Mentalität der Griechen?
Nein, sie bleibt gleich. Die Leute halten zusammen. Viele Jugendliche kehren von den Städten auf das Land zurück und arbeiten in der Landwirtschaft, damit sie leben können. Auch wenn sie pro Tag nur 10 bis 20 Euro erhalten. Die Familien rücken enger zusammen. Wer ein Gehalt hat, unterstützt die gesamte Familie.
Es gibt aus der Not heraus auch positive Effekte?
Ja, natürlich. Die Krise hat auch Positives bewirkt. Viele sehen das aber nur negativ, nur wirtschaftlich. Die Leute rücken wieder näher zusammen, sie denken wieder an Gott.
Ändert sich auch das Verhalten der Politiker?
Alle Politiker müssen gehen.
Wieso?
Sie schauen auf ihre eigenen Taschen und sind nicht in der Lage, den Menschen zu helfen. Sie schauen darauf, wie sie sich selbst retten, und nicht darauf, wie sie Griechenland retten.
Die Griechenland-Krise ist auch eine Krise der griechischen Parteien?
Sie haben zum Beispiel das staatliche Fernsehen geschlossen, weil von den 2500 Angestellten 200 sehr hohe Gehälter gehabt haben. Dann sollen sie diese 200 kündigen und nicht die, die nur wenig verdienen.