Ewald Lienen über Griechenland
18.04.2013 · Ewald Lienen war ein halbes Jahr Trainer des griechischen Traditionsklubs AEK Athen. Zwei Spieltage vor Saisonschluss wurde er unter dubiosen Umständen entlassen.
Sind Sie nur froh, der Hölle von AEK entkommen zu sein, oder bedauerten Sie den Abstieg Ihres früheren Klubs?
Natürlich hätte ich AEK gewünscht, die erste Liga zu halten, dafür habe ich schließlich ein halbes Jahr hart gearbeitet. Ich bin zwar noch nie unter solchen absurden Umständen entlassen worden, aber eigentlich ist es ein sympathischer Klub mit vielen kompetenten Mitarbeitern. Vor allem ärgere ich mich, dass ich nicht auf Sicherheiten bestanden habe für den Fall, dass der Verein mein Gehalt nicht ausbezahlen kann. Was dann schon nach ein paar Wochen tatsächlich passiert ist.
Was reizte Sie an AEK Athen?
Ich hatte über ein Jahr Pause als Trainer hinter mir. Und AEK ist ein Traditionsklub mit viel Substanz, der zum ersten Mal in seiner Geschichte in Abstiegsgefahr geraten war. Ich sah eine realistische Chance, ihn zurück in die nationale Spitze zu führen.
Was fanden Sie vor?
Ein viel zu junges und unerfahrenes Team. Vom letztjährigen Kader waren nur vier, fünf Ersatzspieler übrig geblieben. AEK war wirtschaftlich zusammengebrochen. Ein ehemaliger Präsident, Psomiadis, sitzt im Ausland im Gefängnis. Der Verein ist seit Jahren von ehemaligen Verantwortlichen systematisch ausgeplündert worden. Allein Psomiadis soll dem Verein 70 Millionen Euro schulden.
Wie muss man sich das „Plündern“ vorstellen?
Natürlich habe ich keine Beweise für Einzelfälle, aber es hat immer wieder starke Indizien dafür gegeben, dass sich Verantwortliche bei Spielertransfers bereichert haben. In einem Fall soll Vereinsgeld, das für den Ausbau der Infrastruktur bestimmt war, in die Taschen eines Verantwortlichen verschwunden sein, ohne dass ein Stein bewegt wurde. Steuern wurden sowieso in der Regel nicht bezahlt. Die Krise des griechischen Fußballs hat dieselben Gründe wie die Finanzkrise des gesamten Staates. Dieses Land ist von den Superreichen verraten worden und von den Politikern, die das zuließen oder davon profitierten. Schon vor neun Jahren wurden einigen Fußballvereinen 90 Prozent ihrer exorbitanten Steuerschulden erlassen. Dem Staat entgingen dabei allein im Fall AEK über 100 Millionen.
Wie viele Schulden hat AEK aktuell ?
Genau weiß ich es nicht, aber man spricht von Steuerschulden in Höhe von 18 Millionen, die meines Wissens innerhalb von zwei Jahren beglichen sein müssen, und fünf bis sieben Millionen Euro weiterer unbezahlter Rechnungen und Gehälter. Das bedeutet, dass AEK im Jahr allein neun Millionen Euro Steuerschulden nachzahlen müsste, was aber gar nicht gehen kann, weil die Gesamteinnahmen aus Eintrittskarten, Werbung und Fernsehrechten höchstens sieben Millionen betragen. Also stellte AEK, wie viele andere Wirtschaftsunternehmen in Griechenland auch, den Antrag, die Schulden langsamer abstottern zu dürfen, was aber die Troika verboten hat. Deshalb ist die Wut der Griechen auf Europa und speziell auf Kanzlerin Merkel so groß. Sie fühlen sich im Würgegriff.
Und wie lebt es sich im Würgegriff?
Es herrscht Not, der Wirtschaftskreislauf kann nicht anspringen, weil es kein Geld zum Investieren und zum Konsumieren gibt. Es ist ein Teufelskreis. Das gesamte Geld müsste in die Begleichung der Steuerschulden fließen, aber noch nicht einmal dafür reichen die Einnahmen. Die Mitarbeiter der Firmen werden nicht bezahlt oder entlassen.
Wie es auch bei AEK der Fall gewesen ist.
Es ging ja nicht nur mir so, sondern auch den Spielern und allen anderen Angestellten, die monatelang keinen Gehaltsscheck gesehen haben. Ich hatte jeden Tag ein Riesenproblem abseits des Fußballs zu lösen. Etwa Spieler, die eine Räumungsklage am Hals hatten, weil der Verein die vereinbarte Miete nicht zahlen konnte oder Ähnliches. Einen einzigen Tag gab es, da schien alles okay. Ich ging zur Pressesprecherin und sagte: Du, was ist denn heute los, alles scheint in Ordnung. Da sagte sie nur: Du weißt wohl noch nicht, dass unser Präsident heute vorübergehend festgenommen wurde.
Quelle und hier geht es weiter: Frankfurter Allgemeine