Gemeinsinn statt Krawall in Athen

Die neue Lust am Zupacken in Griechenlands Hauptstadt Athen

Von Alkyone Karamanolis, Deutschlandfunk, 06.12.2010

Wirtschaftskrise, Sparzwänge, sinkende Lebensqualität. Die Lage in Griechenland wirkt düster. Doch es gibt Zeichen der Hoffnung: Da ist die Wahl des neuen Bürgermeisters, von dem man einen Neuanfang erwartet. Und da sind die Bürger, die das Schicksal ihrer Stadt selbst in die Hand nehmen.

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Eine kleine Fußgängerzone in Athen. Alte, zweistöckige Häuser, dazwischen wild wucherndes Grün. Abends, sagt Amalia Zepou, ist es hier gefährlich. Und so hat die Bürgerinitiative, in der sie sich engagiert, einen ehrenamtlichen Architekturwettbewerb ausgelobt. Das Know-how und die Kontakte zu namhaften Architekten steuerte ein Bauinvestor bei, der in diesem Viertel sein Büro hat. Nun liegt der Siegerentwurf auf dem Tisch.

Übersichtlicher, freundlicher und ökologisch nachhaltig soll die Fußgängerzone nach der Umgestaltung sein, erklärt Amalia Zepou den Entwurf, den man bereits der Gemeinde unterbreitet hat. Aber die Bewohner im Viertel packen auch selbst mit an: so haben sie eine Reihe unbebauter Grundstücke gereinigt und zu provisorischen Parks umfunktioniert. 120 Tonnen Müll und Bauschutt kamen bei der letzten Aktion zusammen.

„Was hilft, ist, dass viele von uns jung und neu im Viertel sind. Denn die älteren Einwohner haben alle Hoffnung verloren. Jahrzehntelang hat sich niemand für sie interessiert. Genauso wenig wie für den Müll und die verfallenden Häuser hier. Wir aber wollten es noch mal versuchen. Und vielleicht ist dieser kleine Maßstab, dass also jeder vor seiner Haustür anfängt, die einzige Möglichkeit, etwas zu verändern.“

Tatsächlich entstehen immer mehr Bürgerinitiativen in Athen – zum Beispiel, um Grünflächen zu schützen, um Spielplätze einzurichten, um kleine Parks zu schaffen oder einfach, um im Viertel sauber zu machen. Und dienten solche Zusammenschlüsse früher eher dem Zweck, sich der eigenen politischen oder sozialen Identität zu versichern, so steht heute das Gemeinwohl im Vordergrund, erklärt der Soziologe Panayis Panayiotopoulos von der Athener Kapodistrias-Universität. Ein Paradigmenwechsel, und der komme nicht von ungefähr.

„Die Wirtschaftskrise gräbt den alten Machtverhältnissen das Wasser ab. Das Klientelsystem zum Beispiel hat ausgedient. Das war übrigens auch einer der Gründe, weshalb die Wahlbeteiligung bei den Wahlen kürzlich so gering war. Auch die Medien hinterfragen die Bürger stärker als bisher. Und sie machen einen Mentalitätswandel durch. Man hört nicht mehr so oft, dass sich niemals etwas ändern wird. Denn es bleibt uns ja nichts anderes mehr übrig als den Wandel zu suchen. Das ist der positive „Output“ der Krise.“

So lässt sich vermutlich auch der Erfolg der so genannten „Atenistas“ erklären. Die Atenistas treffen sich jedes Wochenende – und tun einfach etwas: sie säubern Blumenkästen, streichen und bepflanzen sie neu. Sie räumen am Strand auf. Sie ziehen unter Musikbegleitung durch Problemviertel, die von der Stadtverwaltung aufgegeben worden sind. Oder, wie kürzlich unterhalb der Akropolis: sie reinigen ein zur Müllhalde verkommenes Grundstück. Thanassis Armaos ist einer von mehreren Dutzend Leuten, die trotz strahlenden Sonnenscheins an diesem Sonntagmittag gekommen sind, um mitzuhelfen:

„Ich denke, unsere Motivation hat viel mit der Krise zu tun. Wir haben ein Bedürfnis, aktiv zu werden und auch ein Bedürfnis nach Gemeinschaft. Solange alles glatt lief, haben die meisten, glaube ich, nur auf ihren eigenen Vorteil und auf ihr finanzielles Fortkommen geschaut.“

Kein halbes Jahr nach ihrer Gründung zählen die Atenistas gut viereinhalb Tausend Mitglieder, und auf Facebook verfolgen mehr als 27.000 Nutzer ihre Aktionen. Dimitris Rigopoulos, auf dessen Idee die Initiative zurückgeht, hofft mittelfristig auf eine immer breiter werdende Bürgerbewegung in der Stadt:

„Wir haben lange in der Illusion gelebt, dass der Staat für alles verantwortlich ist, und dass wir alle Viere von uns strecken können. Das ist natürlich nicht so. Wir Bürger können sehr viel bewegen. Natürlich gibt es Bereiche, für die ist die Politik zuständig. Es geht uns also darum, selber zu tun, was in unserer Macht steht und so die Politik zu verpflichten, auch ihren Teil zu tun.“

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