GRIECHENLAND-BESUCH: Grenzenloser Streit ist bitter nötig

Der Auftritt des Linken-Chefs Riexinger in Athen war populistisch, aber ein richtiger Schritt hin zu einer europäischen Öffentlichkeit, kommentiert Lenz Jacobsen.

Ein deutscher Spitzenpolitiker als Verräter Europas, als Erfüllungsgehilfe griechischer Nazis: Es ist schon erstaunlich, wie martialisch Vertreter der Regierungskoalition gegen Bernd Riexinger wettern, bloß weil der Linken-Chef sich erdreistet hat, auf den Straßen Athens gegen die Krisenpolitik von Kanzlerin Angela Merkel zu demonstrieren, und nicht nur im gemütlichen Deutschen Bundestag.

Er würde die Proteste als Bühne nutzen, „um Politik gegen die Interessen des eigenen Landes zu machen“, wettert Gerda Hasselfeldt, Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag. FDP-Generalsekretär Patrick Döring poltert, Riexinger „verschärfe die Lage vor Ort“, nehme gar gewalttätige Eskalationen in Kauf und trage zu einer Verzerrung des Deutschland-Bildes bei.

Das ist erstens eine haarsträubende Diffamierung. Hat irgendeiner der zahllosen Fotografen ihn erwischt, wie er eine Europa-Flagge verbrennt oder Bilder von Merkel mit Hitler-Bärtchen hochhält? Nein. Riexinger nahm friedlich an einer weitgehend friedlichen Veranstaltung teil, etwas schüchtern stand er neben dem griechischen Oberlinken Alexis Tsipras.

Zweitens aber, und das ist noch viel schlimmer, beweisen Hasselfeldt, Döring und Co. mit ihren Angriffen nur, dass sie nicht verstanden haben, worum es in Europa geht. Wenn der FDP-Generalsekretär über den Bruch mit „außenpolitischen Gepflogenheiten“ jammert, dann kann man ihm nur zurufen: Na endlich! Denn diese Gepflogenheit, sich im Ausland nicht gegen Politiker des eigenen Landes zu stellen, ist nicht nur antiquiert, sie ist schädlich.

Europaweiter Streit für europaweite Probleme

Es geht bei der Debatte um den Weg aus der Euro-Krise nicht um Deutschland gegen Griechenland, es geht nicht um „unsere“ Steuergelder gegen „deren“ Schulden. Die Fronten verlaufen längst nicht mehr an Staatsgrenzen, sondern an Interessengrenzen: Banken gegen Regulierer, Haushaltssanierer gegen Konjunkturankurbler, Arbeitsmarktreformer gegen Gewerkschaftler. Riexinger hat in dieser Gemengelage selbstverständlich mehr gemein mit den griechischen Merkel-Gegnern als mit Merkel selbst. Warum auch sollte er seine Position plötzlich ändern oder verschweigen, nur weil er europäische Landesgrenzen überquert, die sowieso keine echten Grenzen mehr sind? Die Probleme machen davor schon seit Jahrzehnten nicht mehr halt, deshalb darf es der politische Streit über ihre Lösung auch nicht. Es wird Zeit für eine echte europäische Öffentlichkeit. Riexingers Auftritt war ein richtiger Schritt in diese Richtung.

Dass es eher zufällig dazu kam (Riexingers Reise war seit Monaten geplant) und seine Antwort auf die Krise (höhere Steuern für Reiche, weniger Sparen) ziemlich simpel und populistisch ist – geschenkt. Dass Riexinger selbst nun sagt, er habe „für die Interessen der deutschen Steuerzahler demonstriert“, und damit kurzfristig in die alten nationalen Lager zurückfällt: auch egal.

Riexingers politische Positionen werden nicht dadurch klüger, dass er sie nun auch auf griechischen Marktplätzen vertritt. Aber sie werden sichtbarer, und nur darauf kommt es erst einmal an. Was bleibt, ist das Bild eines deutschen Politikers, der gemeinsam mit seinen griechischen Gesinnungsgenossen gegen die mächtigste Frau Europas und ihre Krisenpolitik protestiert. Dass diese Frau zufällig eine Deutsche ist, sollte nebensächlich sein.

Quelle: Zeit.de