GRIECHENLAND – Irgendwann bleib i dann dort…

Wie sich der große Niedergang in der kleinen Welt eines griechischen Beisls in Wien spiegelt.

Vor 35 Jahren galten sie als exotisch: griechische Lokale, und sie hießen Odysseus oder einfach Kreta. Das Eckwirtshaus im vierten Wiener Bezirk wurde blau-weiß gestrichen und war bald rappelvoll. Die Fischernetze, der Ouzo, die Souvlaki – erinnerte das nicht alles wunderbar an Strand, Meer und Urlaubsliebe? Wer etwas auf sich hielt, flog zu dieser Zeit ja (noch) nicht nach Mauritius, sondern, genau, nach Griechenland.

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Irgendwann bleib‘ i dann dort“ sangen STS über den Sehnsuchtsort. Das war in den Achtzigerjahren. Griechenland trat der EU bei, und wer ahnte damals schon, dass der besungene Müßiggang bei griechischem Wein fatale Folgen haben könnte? Dass Geldverschwendung und Vetternwirtschaft herrschte, dass die Wirtschaftsdaten gefälscht waren? Das Lokal Kreta, seine Deko, das nette Wirtspaar, sogar die Menükarte blieben indessen in den Siebzigerjahren stecken. Nicht schlecht, aber noch immer die unvermeidlichen Souvlaki, das Moussaka, der Fisch, der Ouzo.

Selbst im neuen Jahrtausend saß man dann noch immer unter staubigen Fischernetzen im nur mehr spärlich besetzten Raum und fragte sich langsam besorgt, ob die Griechen außer Mikis Theodorakis musikalisch noch irgendetwas anderes hervorgebracht hatten. Auch der Retsina schmeckte nun plötzlich nach dem, was er immer war: schlechter Wein.

Die Bobos tranken längst anderswo steirischen Sauvignon. Selbst als die Krise plötzlich Bodenständiges wieder salonfähig machte und sogar der Koch eines von der „Presse“ liebevoll beschriebenen Favoritner Beisls zum „Meinl am Graben“ abgeworben wurde (Achtung, Eigenlob!), konnte das Kreta nur mehr hilflos zuschauen. Jetzt hat das Lokal nach 35 Jahren zugesperrt, symbolträchtig ausgerechnet zur Zeit der tiefsten Krise Griechenlands. Seit der Eröffnung des Lokals hatte sich das Staatsdefizit Griechenlands mehr als vervierfacht.

Das Kreta haben übrigens Italiener übernommen, oder die neuen Pächter tun zumindest so. Sehr passend: Nach den Griechen, den Portugiesen und den Spaniern blättert ja auch bei Italien der Lack ab. Frische Farben können den tiefen Rostfraß der Volkswirtschaften kaum verbergen.

Die neuen Wirtsleute haben das Lokal vor allem umgefärbelt. Neues Schild, Lasagne statt Moussaka. Aber ob das für einen Aufschwung reicht?

von Martina Salomon (Die Presse)