Ein berühmter Visagist, ein Koch, ein Webdesigner und ein Restaurantbesitzer verließen die Stadt auf der Suche nach der Ruhe und Gelassenheit, die das Leben in der Natur bietet.
Sie haben ihr Leben von Anfang an in „ihren“ neuen Dörfern aufgebaut, mit den eigenen Händen, mit Erde und Wasser und bald konnten sie sehen, wie ihe Arbeit begann, Früchte zu tragen.
Die Krise als Chance
Es ist immer eine Krise, die einen aus der Schublade holt, in der man sich oft über Jahre doch so gemütlich und bequem gemacht hat. Und – zack – kommt die Krise, die uns das Leben mit anderen Augen sehen lässt.
Dabei ist es für den Einzelnen völlig unerheblich, ob es sich dabei um eine persönliche Krise oder eine internationale Wirtschaftsrezession handelt, wie sie nach 2010 ausgebrochen ist, oder eine Gesundheitskrise wie die, in der wir jetzt leben.
In Krisenzeiten standen urbane Zentren historisch am stärksten unter Druck. So wurden auch jetzt die Städte in der Pandemie quasi nackt ausgezogen und eine große Debatte über Dezentralisierung wurde (mal) wieder eröffnet. Ist es denn wirklich eine so große Entscheidung, die Stadt zu verlassen, in der man keinerlei Zukunft für sich selbst sieht, wenn es eine riesige Chance gibt, im Dorf und auf dem Land sein Glück zu finden?
Die Idee, das Leben in der Stadt zu verlassen und nochmal komplett neu durchzustarten – sich von Anfang an ein neues Leben auf dem Land, in einem Dorf, auf einer Insel aufzubauen – ist natürlich nicht neu.
Lange bevor sich die Arbeitslandschaft veränderte, war die Pandemie für viele Menschen eine Aussicht auf die Verwirklichung des wirklichen und ehrlichen Lebenstraumes. Nur wagten sie es nicht, die große Entscheidung zu treffen und einem (bis dato noch) wohlbehüteten Leben abseits der Natur in einem von 9 bis 17 Uhr dauernden Job in gemäuerten Büros und einem routinemäßigen und stellenweise auch festgefahrenen Alltag den Rücken zu kehren.
In der amerikanischen Literatur nach den 1950er Jahren wurde diese Revolte des modernen Menschen gegen die erstickenden Fesseln des organisierten städtischen Lebens in den Vororten von großen Schriftstellern wie John Chiver, John Updike und Elias Kazan in „The Compromise“ dokumentiert.
Die Revolution der kostümierten Büroangestellten, wie Don Draper von Mad Men, der jahrelang jeden Morgen mit der S-Bahn in die Großstadt zur Arbeit fuhr, auf sich auf Bahnsteigen und in der Bahn mit den anderen Fahrgästen wie Ölsardinen in der Büchse drängelte – um sich auf dem selben Weg nachmittags in den perfekten und familienidyllischen Vorort mit identischen Vorgärten „nach Hause“ zu begeben.
Aber eines guten Tages haben er und seine Familie all das aufgegeben, um sich aus dem Griff des scheinheiligen amerikanischen (Alp-)Traums zu befreien – die Nachkriegsfantasien hatten sie eingeholt und heimgesucht.
Webex aus dem Garten
Die Pandemie und die Notwendigkeit von Telearbeit ließen die Entscheidung, den Moloch Großstadt zu verlassen, um auf dem Land zu leben, viel logischer und natürlicher erscheinen. Quarantäne und Fernarbeit wurden für viele Menschen zum Grund, mit ihren Laptops zunächst vorübergehend und dann dauerhaft in die Hütten ihrer Kindheit, in ihre Dörfer zurückzukehren, um dort von einer metaphorischen oder realen Insel ihrer Telearbeit nach zu gehen.
Die Kasernierung oder gar „Inhaftierung“ der Menschen in ihren Stadthäusern und -Wohnungen, zu denen diese aufgrund von Covid19 gezwungen waren, war für die meisten Menschen der einsamste Abschnitt ihres bisherigen Lebens.
Wer über den Luxus einer Terrasse oder eines Balkons verfügte, nutzte diese als Refugium für sich und die wenigen Topfpflanzen, die damit auch zu seinem einzigen Kontakt mit der Natur wurden.
Auch Menschen, die bis dahin keine Naturliebhaber waren, begannen sich nach dem Geruch frischer Erde und frischem Gras nach dem Regen zu sehnen; nach dem Wohlbefinden, das man empfindet, wenn man auf einem Feldweg zwischen unbefestigten Feldern spazieren geht, nach der Freude über die ersten Blüten, Kräuter, Früchte und ersten Salate sehen, die man selbst gesät hat, oder die „einfach so“ in der Wildnis sprießen und gedeihen – auch und gerade ohne Menschen!
Plötzlich waren die Geschäftstreffen über Zoom oder Skype oder Webex gefüllt mit Diskussionen über die Bedeutung eines Spaziergangs in der Wildnis, über die Grillen, die in der Nacht und die Zikaden, die bei Tag lautstark zu hören waren, über menschenleere stürmische Meere, über den wohltuenden und erfüllenden Schritt heraus aus dem Stress in den Städten.
Wir wollen Euch vier solcher wagemutiger, mit viel Intuition und Motivation gesegneter Menschen, die mindestens Dreierlei gemeinsam haben: Mut, Zuversicht und den Glauben an sich selbst.
Da wäre da….
… der Visagist, der in einem Wohnwagen auf Gavdos lebt.
Manos Vynichakis (Μάνος Βυνιχάκης) ist ein typischer Fall für einen Mann, der, anstatt von zu Hause in Athen aus zu arbeiten, beschloss, dauerhaft auf eine Insel am südlichen Ende Europas zu ziehen, dabei aber den gleichen Job in Telearbeit fortzusetzen.
Er kaufte im Juni 2020 ein Grundstück auf Gavdos und stellte einen Wohnwagen darauf, den er mit seinem eigenen Auto per Fähre transportierte.
Vor einem Jahr, als der erste Lockdown beendet war, beschloss er, Athen zu verlassen und dauerhaft auf Gavdos zu leben. Er kaufte ein Grundstück und einen Wohnwagen, den er mit dem Auto und dieses wiederum mit der Fähre transportierte, und stellte ihn an der besten Stelle auf, um durch die Fenster das Meer sehen zu können. Wie Ihr alle wisst, ein schier unerschöpflicher Quell der Inspiration und Ruhe. Etwas weiter weg vom Wohnwagen, stellte er einen Tisch unter eine Tamariske und legte dann einen kleinen Garten an.
Manos Vynichakis ist einer der bekanntesten und renommiertesten Schönheitsexperten Griechenlands. Er hat Make-up-Serien in endlosen Mode-Editorials für internationale Magazine wie Vogue, Marie Claire, Elle, Madame Figaro und Harper’s Bazaar lanciert, während er an sehr erfolgreichen Modenschauen griechischer und ausländischer Designer wie Dolce & Gabbana, DSquared2, Valentino, Oscar de la Renta, Vassilis Zoulas, Miro, Deux Hommes, Apostolos Mitropoulos uvam. durch seine Kunst maßgeblich beteiligt war.
„Das Leben auf Gavdos braucht wahrscheinlich mehr Organisation in Sachen Versorgung. Abgesehen von zwei Minimärkten mit Lebensmittelgeschäften gibt es auf der Insel keine Geschäfte und wir bestellen auf Kreta oder im Internet, was wir brauchen. Der Winter ist angenehm mit Freunden, Zusammenkünften in Häusern, Spaziergängen auf Wegen, manche nette „Parea“ am Holzofen, Arbeit auf dem Feld. Einfache Dinge.
Abends kein TV, kein Kino. Um eine solche Entscheidung zu treffen, muss man wissen, was es braucht, um wirklich und rundum glücklich zu sein. Um eine andere Wahrnehmung und Definition von „Werten“ zu haben.“
Jeden Morgen wacht Manos Vynichakis früh auf, um den Sonnenaufgang und das endlose Blau des Mittelmeers zu genießen. Beneidenswert!
Manos hat seinen Job aber längst nicht aufgegeben, er arbeitet nun einfach über das Internet, das selbst auf Gavdos, mitten im Meer und kurz vor Afrika, einwandfrei funktioniert. Okay, wenn grade kein Stromausfall ist, aber Manos hat auch ohne das WWW genug zu tun:
„Ich wache relativ früh auf, um 7 bereite ich mir einen Aufguss mit kretischen und lokalen Kräutern zu und ich genieße die Aussicht und die frische Luft des Dorfes genießen. Wenn ich ein Videoprojekt für meinen Youtube-Kanal am Computer erstelle oder für eine Beauty-Site mit für meine Kunden schreiben muss, mache ich mich an die Arbeit.
Wenn ich nicht am Computer arbeiten muss oder will, übernehme ich die Feldarbeit. Und davon gibt es viel und man muss fast alles selbst können.
Ich habe einen kleinen Gemüsegarten, damit ich frisches Gemüse essen kann und zu dieser Zeit gibt es Tomaten, Paprika, Zucchini, Salat und Zwiebeln. Vor ein paar Tagen habe ich Samen für Vilta gelegt. Die braucht auch ihre Pflege. Es ist wunderbar, jeden Tag zu beobachten, zu sehen, was die Pflanzen benötigen, wie sie wachsen, blühen, Früchte tragen oder einfach reifen.
Kritischer Punkt in der Landwirtschaft hier sind vor allem die Heuschrecken, von denen es hier immer Mengen, in manchen Jahren aber auch Unmengen gibt – und die fressen alles weg, was sie finden können.“
Der Kontakt mit der Natur, mit der Erde sei erfrischend, erklärt er. Sie biete Seelenfrieden.
„Es erschafft etwas Magisches, das sich in jede deiner Zellen einprägt.“
Natürlich gibt es Momente der Einsamkeit. Wie er gesteht, vermisst er einige seiner engen Freunde und Verwandten. Aber die Bewegungsmittel und -Möglichkeiten sind so einfach geworden, dass man fast jederzeit problemlos für eine Weile nach Athen zurückkehren kann. Diese Reise ist schon lange keine Odyssee mehr wie beim alten Homer. Im Winter wandert Manos durch die Natur, im Frühling und Sommer schwimmt er, ja er lebt schier im Meer.
Die Kehrseite der Medaille
Allerdings ist nicht alles nur rosig, es gibt natürlich auch gewisse Schwierigkeiten.
Der Umgang mit der Erde ist eine Form der Meditation. Für Manos Vynihakis ist das Pflanzen von Gemüse in Blumenbeeten und Obstgärten ein tägliches Ritual des Wohlbefindens. ABER:
„Ich habe ein großes Problem mit Wasser, die Gemeinde man gibt mir keine Wasserversorgungsgenehmigung. Ich kaufte ein Feld und weil ich nicht bauen konnte, stellte ich einen Wohnwagen einer neuen Generation auf Rädern, wie ich es bei anderen Inselbewohnern gesehen hatte.
Ich habe das Wasser für mein Feld angefordert und da ich in einem Wohnwagen wohne, geben sie es mir nicht, weil so ein Anschluss illegal ist. Der Caravan ist jedoch autonom und muss an kein Festnetz angeschlossen werden. Ich versorge mich mit Wasser aus einem kleinen Tank, den ich mit Wasser befülle – dank meines Nachbarn, seines Respekts und seiner Hilfsbereitschaft, der mich mit diesem nötigen Wasser versorgt.
Ich will aber die Genehmigung der Gemeinde, damit ich – wie alle anderen Einwohner Gavdos´ – einen Brunnen auf dem Feld haben kann. Doch ich werde gezwungen sein, dieses Bemühen um einen dauerhaften Wohnsitz auf Gavdos aufzugeben, wenn dieses Problem nicht gelöst wird. Die ständigen 71 Einwohner, die wir jetzt sind, werden dann wohl wieder 70 sein“.
Es gibt aber auch andere Menschen, die durch den Wohnortwechsel ihren Job komplett gewechselt haben:
Von der Köchin zur Bäuerin
Vicky Kapoutsi (Βίκυ Καπουτσή) arbeitete als Köchin und ihre Entscheidung, den Job zu kündigen und statt dessen eine Farm zu bauen, die frische Bio-Produkte produziert, kam nach und nach. Der routinemäßige und fast immer gleiche Alltag veranlasste sie, ein Cottage in Eretria, Evia, zu ihrem dauerhaften Zuhause zu machen.
Die Kirschtomaten, die Vicky Kapoutsi gerade auf ihrem Gut in Arrotria geerntet hat, werden von einem Transportunternehmen verbracht und kommen frisch und aromatisch duftend auf den Tellern ihrer Kunden an.
„Es war eine Entscheidung ohne Tusch und Tamtam, ohne dramatische Zeit der „Suche“. Als wir uns dann entschieden, das Cottage zu einem dauerhaften Wohnsitz zu machen, lag es einfach daran, dass wir immer mehr Zeit dort verbrachten und die Rückkehr nach Athen immer schwereren Herzens erfolgte. Allmählich verlagerte sich der Schwerpunkt unseres Lebens von der Stadt aufs Land.“
Gupi, die Arotria-Ziege, ist jetzt ein Influencer in den sozialen Medien.Freunde und Follower des Anwesens auf Facebook verfolgen täglich ihre Abenteuer.
„Der entscheidende Moment, glaube ich, war, als wir unseren ersten eigenen Garten anlegten: Es war das Signal, dass es hier jetzt etwas gibt, das uns verbindet, etwas, um das wir uns kümmern wollen. Etwas wirklich Unseres und völlig Neues. Es war ein bisschen, als würde man zum ersten Mal eine Zahnbürste im Haus des neuen Partners zurücklassen. Von diesem ersten Obstgarten aus begann die Zeit des Pfluges: die Freude, aus einem Samen etwas zu machen, die Pflanze wachsen und gedeihen zu sehen und später die Früchte der Pflanze und die der eigenen Arbeit zu ernten. Das ist so ein gutes Gefühl, dass man es mit anderen teilen möchte“.
Analog und digital in der Natur
Vickys Alltag gliedert sich in Feldarbeit und Hausarbeit. Sie verbringt ihren Morgen draußen auf dem Anwesen. Je heißer das Wetter, desto früher beginnt ihr Tag. Sie kümmert sich um ihre Pflanzen und Tiere. Gupi, ihre Ziege, und Marilyn das Schwein sind über die Facebook-Seite von Arotria in den sozialen Medien bereits sowohl bekannt als auch sehr beliebt.
„Landwirtschaftliche Arbeit ist körperlich anstrengend und man macht sich definitiv die Hände schmutzig – das kann man wohl leicht nachvollziehen. Gleichzeitig erfordert sie jedoch ein sehr hohes Maß an Wachsamkeit und Beobachtung, da man es ja mit lebenden Organismen zu tun hat. Man muss immer auf Anzeichen achten, was möglicherweise mit den Pflanzen nicht stimmt oder warum der Bauch eines Schafes aufgedunsener aussieht als normal, um das Problem zu erkennen und sofort einzugreifen“. Wenn Viky vom Feld nach Hause kommt, bereitet sie die Bestellungen von Arotria vor, kommuniziert elektronisch oder telefonisch mit den Kunden und organisiert die nächsten Aufgaben und Tätigkeiten.
Die Natur bestimmt den Tagesablauf von Mensch und Tier
„Je wärmer das Wetter, desto früher beginnt unser Tag auf dem Gut“, sagt Vicky Kapoutsi.
„Aber all dies geschieht, fast ohne es zu merken, viel leichter, wenn das Auge jederzeit den Blick auf dem Meer ruhen lassen kann, das wir glücklicherweise von zu Hause aus sehen können.“
Dann sind da noch die Lebewesen, mit denen sie lebt: drei Hunde und vier Katzen – „unsere eigenwillige Familie“, wie Vicky sagt – die jeden Tag zu einem regelrechten Freudentag
machen (Anm.d.Red.: für uns absolut nachvollziehbar!).
Aber fühlt sie sich auf dem Land jemals einsam oder isoliert? „Der Kontakt zum sozialen Umfeld in der Kleinstadt ist eingeschränkt. Aber nur während des Reiseverbots haben wir einen Mangel an Kontakt gespürt, da unsere eigenen, wertvollen Menschen nicht zu uns nach Hause kommen oder wir nach Athen gehen konnten.“
Wichtig in ihrem Leben mit den Tieren ist auch eine gute Beobachtungsgabe, eine gute Intuition und – sehr hilfreich: Erfahrung. Das Verhalten der Tiere zeigt Ihr, ob eines oder mehrere von ihnen Hilfe brauchen, sagt Vicky.
Das Leben in einer gesunden, sauberen Umgebung voller frischem Sauerstoff gibt einem eine ganz andere Lebensqualität und macht die einfachsten Dinge zu einem Luxus.
Wichtige Werte
„Der Kontakt mit der Erde und den Tieren, mit einem primitiveren Lebenszustand, lehrt dich, das Lebendige viel mehr zu schätzen. Diese Dinge bekommen andere Prioritäten Man selbst bekommt auch weniger Toleranz für das Unbedeutende. Für uns war es ein sehr wichtiges Ziel, dass wir vor allem Gemüse, Eier und Milchprodukte konsumieren, die wir selbst produzieren – also Lebensmittel, die unendlich schmackhafter und frischer sind als alles, was wir in der Stadt vorgefunden haben.
Gleichzeitig ist der einfache und direkte Zugang zum Meer immer eine Erleichterung, ein riesiger Luxus. Dies ist objektiv schwer zu messen.Sicher ist nur, dass wir uns unser Leben ohne diese Elemente nicht mehr vorstellen können: den Komfort des Raumes, die Schönheit der Landschaft und die Qualität des Essens.“
Natürlich gibt es Schwierigkeiten
„Kein Zustand ist ideal, das bedeutet es.Wir hatten das Glück, aus der Stadt, aus der Reibung mit den Menschen dort, alle Lektionen zu lernen und mitzunehmen, die man braucht, um das zu erwerben, was wir „Horizont“, die Kultivierung, nennen.
Wir kamen mit aufgeladenen Gedankenbatterien aufs Land. Was wir hier leben, ist eine noch größere Erweiterung unseres Horizonts. Wir lernen immer noch Dinge, und wir sind bereits im mittleren Alter angekommen.
Die Natur ist keineswegs die wohlwollende Mutter. Sie lässt wundervollerweise keine Selbstzufriedenheit zu. Es gibt dich, aber sie benutzt dich, sie fordert. Dies ist manchmal mühsam und kann dazu führen, dass man die (scheinbare) Sicherheit der städtischen Umgebung vermisst. Aber das dauert nicht lange an. Was wir hin und wieder vermissen, ist die Fülle der Auswahlmöglichkeiten in der Stadt; das Rätsel, ob man in dieses oder jenes Restaurant gehen soll, ob man den Film und/oder die Plätze dieses oder jenes Kinos bevorzugt und wo man anschließend abtanzen geht oder einen Schlummertrunk nimmt.“
Bewusstseinswandel, Freunde und vertrauensvolle Kundenbeziehungen
Die auf dem Gut hergestellten und endlich geernteten Gurken stehen mittlerweile in Gläsern bereit für die Kunden von Arotria.
„Die tägliche landwirtschaftliche Arbeit ist vielfältig, aber alles, was in der Natur passiert, macht so viel mehr Spaß als alles andere. Die freie Zeit, die wir haben nachdem wir alles organisiert und verwaltet haben, von der Aussaat bis hin zum Versand unserer Produkte, ist sehr, sehr begrenzt. Doch das gleichen unsere Freunde aus – sie sind immer da (oder hier), und das ist ein riesiges Sicherheitsventil, ein Auffangbecken.“ Vicky gründete Arotria lange vor der Pandemie, die den Alltag in den Städten in kürzester Zeit enorm erschwerte und das Leben auf dem Land für immer mehr Menschen zum absoluten Traum wurde.
„Die Pandemie hat das Thema Gesundheit im Allgemeinen in den Vordergrund gerückt.Ich denke, wir treten in eine Ära eines größeren Bewusstseins ein – wie wir im Allgemeinen leben, miteinander und mit der Natur umgehen und was wir auf unserem Teller konsumieren; und dies spiegelt sich in der dramatischen (aber guten) Zunahme unserer Arbeit in den letzten Monaten wider. Ich weiß nicht, ob diese Corona-Krise zu einem „Abzug“ von sehr vielen Menschen aus urbanen Zentren führen wird – dabei kann der Ausbau der Fernarbeit und die Digitalisierung vieler Dienste eine größere Rolle spielen.
Die griechische Provinz bleibt sozial und kulturell „nah“. Um ein gutes Leben, eine gute Zeit zu haben, das Positive zu genießen und dem Negativen entgegenwirken zu können, braucht es ein ausgeprägtes Selbstständigkeitsgefühl und ein gutes, stabiles Innenleben. Es ist nicht immer leicht, nicht jedermanns Sache und das ist völlig legitim. Bei uns hat es einfach perfekt funktioniert.“
Und zu guter Letzt wurden die Kichererbsen gerade vom Feld geerntet. Diese werden einer sehr persönlichen Qualitätskontrolle unterzogen: sie werden gewaschen, eingeweicht, von Vicky gekocht, getestet und wenn für gut befunden (was in sicher über 98% der Fälle zutrifft) dann über Facebook und auf anderen Internetplattformen verkauft. So bauen landwirtschaftliche Kleinbetriebe vertrauensvolle und lang anhaltende Beziehungen zu ihren Kunden, den Verbrauchern, auf.
Von Kalifornien nach Psyrri – und nach der Rezession auf einem Feld in Jia
Marcie Mayer war Mallehrerin, Dekorateurin und später Restaurantbesitzerin, bevor sie nach Jia (Τζια) kam, um Etiketten für die Bio-Produkte zu entwerfen, die sie und ihr Mann auf der Red Tractor Farm herstellen.1984 kam sie für einen Urlaub nach Griechenland, verliebte sich prompt in dieses Land und entschied sich, nicht nach Kalifornien zurückzukehren.
Kostas Maroulis (Κώστας Μαρούλης ) nd Marcie Mayer lernten sich kennen, als Marcie mit ihrer Tochter nach Jia kam, um sich ein neues Leben aufzubauen, da sie gerade ihr Restaurant in Psyrri geschlossen hatte.
Dieses Restaurant, das „Blue Velvet“ hatte Marcie1989 in Psyrri eröffnet. Lange bevor die internationale Rezession ausbrach, erlebte sie ihre eigene Finanzkrise und beschloss, mit ihrer Tochter Athen zu verlassen und dauerhaft in Jia zu leben. Einige Jahre später, im Jahr 2005, heiratete sie Kostas Maroulis, der nach einem Auslandsstudium in sein Elternhaus auf der Insel zurückgekehrt war. Gemeinsam schufen sie 2008 die „Red Tractor Farm“ auf Kostas´ Familiengut.In Eigenarbeit erbauten sie eine Herberge und eine kleine Anlage zur Herstellung verschiedener Bio-Produkte.
Neben Konfitüren und Eichenmehl ist das Gut auch auf die Herstellung von Spatolaöl spezialisiert, das zu therapeutischen Zwecken verwendet wird.
„Meine Arbeit dreht sich um die jährliche Eichenernte, die Herstellung von Eichenmehl und Eichenkeksen. Ich helfe den Gästen im Hostel und betreibe einen kleinen Hofladen mit Bio-Produkten, wo wir Bio-Wein, Olivenöl und natürlich alle Produkte verkaufen, die ich aus den Früchten meiner Eichen produziere.
Das Landleben ist nur etwas für Leute, die harte Arbeit mögen. Es hat nichts mit dem Leben eines Angestellten zu tun, der fünf Tage die Woche von 9-17h arbeitet.
Es gibt immer Rückstände, Dinge, die gelöst werden müssen, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr.“
Wie Marcie Mayer erklärt, ist das Leben auf dem Land zwar ideal, aber nicht jedermanns Sache, es ist sehr einsam.
Der rote Traktor, der von seinem Großvater – Kostas Maroulis sen. – stammte und immer noch auf dem Anwesen stand, wurde zum Markenzeichen des Hostels und der Red Tractor Farm.
Free and Real: Das erste ökologische „Dorf“ in Griechenland
In Nord-Evia auf dem Monte Telethrio hat eine Gruppe von Menschen, die authentisch in der Natur leben wollten ohne die Umwelt zu schädigen, in einem Wald aus Kastanien und Platanen eine „grüne Mustergemeinschaft“ geschaffen, die als Schule für Selbstversorgung und Nachhaltigkeit fungiert. „Free and Real“ wurde 2008 in Athen von vielen jungen Menschen gegründet, die die Krisen erkannten, die jeden Aspekt der menschlichen Kultur umfassen: Umwelt, Gesundheit, Bildung, Wirtschaft usw.
Da die Theorie nicht ausreichte, um andere davon zu überzeugen, ihr Leben zu ändern, beschloss Apostolos Sianos (Απόστολος Σιάνος), seine grünen Ideen in die Praxis umzusetzen und das erste ökologische Dorf Griechenlands in Nord-Evia zu bauen.
Von der Theorie zur Praxis
„Durch unsere Aktionen in Athen über zwei Jahre hinweg haben wir erkannt, dass wir nur dann eine größere Wirkung haben, wenn wi r das in die Tat umsetzen, worüber wir bisher nur theorisiert und geredet haben. Somit haben wir uns im September 2010 entschieden, nach Nord-Evia zu kommen und das Projekt zu starten“, erklärt Apostolos Sianos, Gründer der „NGO Free and Real“ – ein ehemaliger Webdesigner.
Am Anfang gab es nichts, keine Infrastruktur, nur kahles Land, rauh und rauher. Es hat viel Arbeit gekostet, alles erst einmal halbwegs in Ordnung zu bringen.
„Wir hatten viele Schwierigkeiten, vor allem bis es eine gewisse Infrastruktur gab, aber ich vergleiche das nicht mit dem Dschungel von Athen, wo ich aufgewachsen bin und dem Chaos ums Überleben, das dort herrscht. Ich würde nie wieder zu dieser Lebensweise zurückkehren.“Aber wie ist das Leben nicht nur in einem Dorf auf dem Land, sondern im Wesentlichen in einer isolierten kleinen Gemeinde in den Bergen? „Jeder Tag ist anders, es gibt einige tägliche Verpflichtungen wie das Kochen, aber wir gestalten den Tag meist spontan morgens und je nach Bedarf wählen wir mittel- und langfristig aus, was wir machen. Wir kümmern uns um den Garten und bauen Häuser mit natürlichen Materialien und erneuerbaren Energiequellen. In den elf Jahren, die ich nun hier lebe, war kein Tag wie der andere.“
Alle Gewächshäuser des Dorfes, die vom „Free and Real-Team“ in Euböa gebaut wurden, bestehen zu 100% aus natürlichen Materialien. Das Team von Free and Real beim Baubaute auch eines der ersten ökologischen Häuser des Dorfes.
Ich frage Apostolos, wie jemand die große Entscheidung trifft, ein organisiertes Leben in der Stadt für eine ungewisse Zukunft zu verlassen.
„Nach den ersten zwei/drei Jahren gab es tatsächlich ein wenig Angst, ob wir es bis zu diesem Punkt schaffen würden. Mein Leben hat sich sehr verändert, ich bin sehr ruhig, glücklich und genieße es, meinen Tag so zu gestalten, wie ich es möchte. Jede Reise nach Athen bestätigt mir, dass ich die richtige Wahl getroffen habe. Von der Stadt vermisse ich nichts mehr, außer vielleicht mal einem Kino- oder einem Konzertbesuch, den ich umternehmen kann, wann immer ich will.
Aber andererseits – wir haben hier doch alles!
Wir organisieren eigene Festivals, Workshops und Seminare, die jedes Bedürfnis nach Kontakt und Lernen abdecken.Außerdem ist es, als ob wir auch reisen, da wir von Tausenden von Menschen aus der ganzen Welt besucht werden.„
Apostolos Sianos hofft, dass die Gesundheitskrise von Covid19 die Menschen in den Städten dazu bringt, ein anderes, gesünderes und sinnvolleres Leben auf dem Land zu suchen.
„Möge diese Pandemie andere Menschen in Richtung Natur und weg von den Städten drängen, um ihre eigenen Oasen zu schaffen. Wir sind immer bereit, sie bei dieser Entscheidung zu unterstützen und die „Fürs“ und „Widers“ abzuwägen. Wir sehen Anzeichen dafür, dass die Menschen die Städte nicht mehr aushalten können, insbesondere nach der Quarantäne. Viele Menschen kontaktieren uns, um Land zu finden oder sich beraten zu lassen, bevor sie die große Entscheidung treffen, die Städte zu verlassen.“
Quelle: iefimerida.gr
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