Rückkehr der Freiheit
Die Millionenstadt Athen schwirrt an diesem sommerlichen Dienstag vor Gerüchten. Es gibt einen Regierungswechsel, flüstern und hoffen viele am 23. Juli 1974. Der amerikanische Außenminister Henry Kissinger soll von der Möglichkeit eines baldigen Wechsels gesprochen haben, wissen einige. Seit sieben Jahren wird Griechenland von einem Militärregime beherrscht. 100.000 Griechen haben ihre Heimat verlassen, in der es nun Folter und Gefängnisse für politische Gefangene gibt, Ausgangssperren und Pressezensur. Die Musik von Mikis Theodorakis ist ebenso verboten wie der Minirock. Am Dienstagnachmittag bestätigen sich die Gerüchte um ein baldiges Ende des Militärregimes: Die Junta trommelt die Männer zusammen, die sie jahrelang als Schwatzbuden-Politiker denunziert und verfolgt hat, und erhofft sich von ihnen einen Ausweg aus der Krise. Denn wenige Tage zuvor haben türkische Truppen einen Teil Zyperns besetzt.
Noch am Abend ruft der amtierende Staatspräsident, ein General, den früheren Premier Konstantin Karamanlis, einen Konservativen, im französischen Exil an. In der Nacht trifft Karamanlis auf dem Athener Flughafen ein, gefeiert von einer jubelnden Menge. Am Mittwoch wird er als neuer Premierminister vereidigt. Eine seiner ersten Entscheidungen: Alle politischen Gefangenen erhalten ihre Freiheit wieder.
Am Abend des selben Tages kommt ein weiterer Exilant nach Athen zurück, ebenfalls stürmisch gefeiert: Mikis Theodorakis, dessen einst verbotene Lieder jetzt sogar der Militärsender spielt.
Karamanlis und seine Regierung sorgen innerhalb eines Jahres für freie Wahlen, eine neue Verfassung und die Verhaftung der Junta-Offiziere. Die werden im Sommer 1975 wegen Hochverrats zu lebenslanger Haft verurteilt. An die Schrecken ihrer Herrschaft erinnert das weltberühmte Buch „Ein Mann“ von Oriana Fallaci, in dem sie Leben und Leiden des Widerstandskämpfers Alexandros Panagoulis schildert. Zwei Jahre nach dem Ende des Militärregimes starb er bei einem Verkehrsunfall – vermutlich einem Mordanschlag von Neofaschisten. Stand: 23.07.04, WDR.de.
„Ein Mann“
Mit ihren Büchern, die Reportagen zu authentischen Ereignissen in die Form einer Fiktion kleiden, entwickelte Oriana Fallaci einen neuen Romanstil, mit dem sie zugleich die Darstellungsformen des Journalismus erweiterte.
Diese literarische Form hat Fallaci auch in ihrem Buch „Ein Mann“ über Leben und Tod des griechischen Dichters und Widerstandskämpfers Alexandros Panagoulis angewandt, der drei Jahre lang ihr Lebensgefährte war. Die Liebesgeschichte hatte mit einem Interview begonnen, das die damals bereits berühmte Journalistin 1973 mit Panagoulis unmittelbar nach seiner Entlassung aus fünfjähriger Einzelhaft führte. Sie endete mit einem Verkehrsunfall in der Nacht zum 1.5.1976, bei dem Panagoulis ums Leben kam und den Fallaci als Mordanschlag der europaweit agierenden neofaschistischen Organisation »Die Spinne« entlarvte.
Inhalt:
Die tumultuarischen Szenen bei der Beisetzung von Panagoulis, die Fallaci im Prolog mit ihrem emotionalen und zugleich präzisen Stil beschreibt, eröffnen das Buch. Wie der Dichter in seinen letzten Monaten vorausgesagt hatte, musste er sterben, »um verstanden zu werden«.
Der eigentliche Bericht beginnt mit dem Bombenanschlag, den Panagoulis im August 1968 gegen den griechischen Junta-Diktator Georgios Papadopoulos unternahm, der am 21.4.1967 durch einen Armeeputsch an die Macht gekommen war. Doch das Attentat missglückte; Panagoulis wurde gefasst und sofort schwerster Folter unterworfen. Fallaci beschreibt die Foltermethoden des griechischen Geheimdienstes ESA, denen Panagoulis bis zuletzt seinen intellektuellen Widerstand entgegensetzte, mit quälender Genauigkeit. Auch die Folterer, authentische Figuren, sind detailreich porträtiert. Die Autorin legt Mechanismen bloß, die Diktaturen, Folterungen und sich ständig steigernde Grausamkeiten ermöglichen. Bei einem fünftägigen Prozess, der einer Farce glich, wurde Panagoulis im November 1968 zum Tode verurteilt. Die Vollstreckung des Urteils wurde jedoch auf Proteste der Weltöffentlichkeit hin schließlich ausgesetzt. Fünf Jahre verbrachte der Dichter in Einzelhaft, bis er im August 1973 bei einer allgemeinen Amnestie freigelassen wurde. In der Freiheit setzte er seinen Widerstand fort, ständig von Morddrohungen begleitet, auch nachdem er als Abgeordneter der Zentrumsunion ins Parlament eingezogen war.
Eingeflochten in diesen Bericht ist die Geschichte der tiefen und qualvollen Liebe zwischen der Journalistin und dem Dichter. Bei einer Auseinandersetzung tötete Panagoulis ihr noch ungeborenes Kind; dieses tragische Ereignis ist Thema des Buchs „Brief an ein nie geborenes Kind“ (1977).
Wirkung:
Fallaci schrieb einen Roman und zugleich ein politisch brisantes Buch. Schon ein halbes Jahr nach seinem Erscheinen waren allein in Italien 600 000 Exemplare verkauft. Das Werk wurde in mehrere Sprachen übersetzt und kam auch in Deutschland auf die Bestsellerliste. Mit der Rekonstruktion seines Lebens verbreitete die Autorin Ideen von Panagoulis weit über Griechenland hinaus. Durch ihre Recherchen und die Veröffentlichung von Dokumenten über die Junta, in deren Besitz Panagoulis noch kurz vor seinem Tod gelangt war, konnte sie die Brutalität des Obristen-Regimes und dessen politische Verstrickungen weltweit bekannt machen. Copyright: Aus Das Buch der 1000 Bücher (Harenberg Verlag)
Mehr zum Thema Alekos Panagoulis und Militärdiktatur gibt es hier:
Panagoulis und die Militärdiktatur. Alekos Panagoulis – Notiz vom 09. Juli 2008 von Holger Czitrich-Stahl
Danke, Holger.
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