Die historische Last des Klientelismus.
Von Niels Kadritzke.
Klientelismus will ich mit einer kleinen Geschichte veranschaulichen. Im Januar 2018 besuchte Regierungschef Tsipras die Dodekanes-Insel Kalymnos. Als er abgereist war, entbrannte in der lokalen Presse eine heftige Debatte.
Dabei warf ein Journalist dem Bürgermeister vor, er habe die Anwesenheit von Tsipras nicht genutzt, um mehr Flugverbindungen zwischen Athen und Kalymnos zu fordern. Dass der Inselflughafen nur von einer privaten Gesellschaft angeflogen wird, die Tsipras nicht zu mehr Flügen verdonnern kann, spielte bei der Diskussion keine Rolle. Der hohe Besuch aus Athen ist da, also stellt man Forderungen.
Das hat der Bürgermeister auch getan, indem er gleich den Bau eines neuen Flughafens verlangte. Dazu muss man wissen, dass schon der erste Flughafen der Insel das überflüssigste von vielen absurden Infrastrukturprojekten Griechenlands ist. Und dazu eines der teuersten. Man musste nämlich die 1100 Meter lange Landebahn aus einem 350 Meter hohen Bergzug herausschnitzen, der bis auf 235 Meter Meereshöhe abgetragen wurde. Seit 2006 können hier mittelgroße Propellerflugzeuge landen – allerdings nur bei Windstärken unter 8 Beaufort, weil der Anflug bei stärkeren Seitenwinden zu gefährlich ist.
Die Passagierzahlen des Flughafens sind seit zwei Jahren rückläufig, was aber nicht an der Zahl der Flüge liegt, sondern an der Tatsache, dass Kalymnos viel besser und billiger über den Flughafen Kos zu erreichen ist. Der liegt nur 20 Kilometer entfernt und wird mehrmals täglich von Großraumjets aus Athen und dem Ausland angeflogen. Eine schnelle und regelmäßige Pendelfähre bringt die Passagiere in 30 Minuten von Kos nach Kalymnos, und das auch jenseits von Windstärke 8.
Kalymnos ist also keineswegs eine isolierte, sondern eine überaus gut erreichbare Insel. Aber das genügt den Inselbewohnern und ihren Lokalpolitikern nicht. Der Traum ist ein großer eigener Flugplatz, auf dem Charterflugzeuge direkt aus Europa landen können – nur 23 Kilometer nördlich vom Flughafen Kos.
Sinnlose Rituale, die alle mitmachen
Die Pointe dieser Geschichte besteht darin, dass die meisten Leute in Kalymnos wissen: ihr Traum wird ohnehin nie wahr. Der Kommentator in der Lokalzeitung hat das klar erkannt. Er kreidet dem Bürgermeister an, dass er von Tsipras nicht beides gefordert hat – mehr Flüge zum alten Flughafen, und obendrein noch einen neuen. Dabei bedient er sich eines sehr realistischen Arguments: „Für den Ministerpräsidenten wäre es nämlich ganz leicht gewesen, den Bau eines neuen Flughafens zu versprechen, denn das ist ja eine Sache, die zu realisieren ziemlich viele Jahre dauern wird – wenn nicht gar bis zum St. Nimmerleinstag“ (wörtlich: bis zu „den griechischen Kalenden“).
Die klientelistische Attitüde ist so tief verwurzelt, dass sie für alle Beteiligten auch dann Sinn macht, wenn die Forderung sinnlos ist. Schließlich haben alle einen Grund, das Ritual mitzumachen: Der Bürgermeister kann sich vor seinen Wählern als energisch darstellen; die oppositionelle Zeitung kann zeigen, dass sie die Interessen der Inselbevölkerung noch energischer vertritt; der Politiker aus Athen (in dem Fall der Regierungschef) kann demonstrieren, dass er klientelistische Bedürfnisse zu würdigen weiß, solange er auf der Insel weilt.
Seit es Parteien in Griechenland gibt, festigen die Mächtigen im Land ihre Herrschaft durch Korruption und Staatsausbeutung, sagt Andreas Stergiou, Professor für Politologie an der Universität Kreta, der zum griechischen Klientelismus forscht. Das Land funktioniere nach dem Prinzip „Schmieren und geschmiert werden“.
Die Hauptprobleme heute: Es gibt keine zentrale Erfassung, weder bei Steuern, noch beim Kataster, also den Liegenschaften. Lange versickerten so auch Millionensubventionen der EU. Weil niemand erfasst, wem welcher Olivenacker gehört, aber 20 Bauern ihn als ihren eigenen anmelden, fließen 20 mal Subventionen für dasselbe Stück Land.