Kreta – Die Entdeckung der Einsamkeit.

Ein Reisebericht von Daniela und Wolfgang Wehrmeier

Jedes Mal, wenn wir Kreta besuchen, wollen wir ein neues Stück der  Insel erkunden. Immer auf der Suche nach Motiven für einen möglichen neuen Foto-Bildband. Auf unserer 13. Reise im September 2021 steht die Südküsten-Region östlich von Matala und auf dem Plan. Unsere Recherchen versprechen hier alte Klöster und Kirchen, Wasser fälle und Schluchten. Das lockt uns. Doch hier finden wir noch etwas ganz anderes … 

Als zentraler Standort, von wo aus wir Tagesausflüge in alle Richtungen unternehmen können fällt unsere Wahl auf das kleine Örtchen Agios Ioannis: direkt am Meer gelegen, scheint klein und anschaulich ohne Massentourismus, so wie wir es lieben. Wir haben bei Charalambos für eine Woche ein kleines Appartement gebucht.

Vom Hafen Kissamos kommend ist unser erstes Ziel Kloster Arkadi. Die imposante Klosteranlage mit der so grausamen Geschichte wird zu recht das kretische Nationalheiligtum genannt.

Die Kirche von Kloster Arkadi bei Rethymnon 

Totenschädel in einem Reliktenschrank

Wir spüren sofort wieder die allgegenwärtigen Kreta-Schwingungen. Auf der Weiterfahrt durch die wunderbare Landschaft südlich des Psiloritis legen wir an dem einen oder anderen Kirchlein, Aussichtspunkt und bizarren Olivenbaum einen Foto-Stopp ein, saugen die Eindrücke und Düfte in uns ein … ja, Kreta hat uns wieder … 

Vorbei an Moires durch die Messara-Ebene biegen wir bei Agioi Deka  rechts ab in Richtung Vagionia, Loukia. Hinter diesem kleinen Ort beginnen die endlosen Serpentinen und wir schrauben uns hoch in die Asterousia Berge. Die Natur ändert sich schlagartig. Die kahlen Berge mit scharfen Felsen und steilen Klippen verleihen dieser Region einen ganz besonderen Charakter. Im krassen Kontrast hierzu steht der imposante Rückblick auf die fruchtbare Ebene.

Blick aus den Asterousia-Bergen in den Norden: die Messara-Ebene

Nach einer guten viertel Stunde erreichen wir den Kamm auf 820 über NN. Eine letzte Felskuppe gibt uns den Blick frei auf das Libysche Meer. Überwältigend. Auf den zweiten Blick nehmen wir noch etwas Beeindruckendes wahr:

Blick aus den Asterousia-Bergen in den Süden: Agios Ioannis 

Vor uns liegt ein Hang voller Serpentinen, erst Beton- dann Schotter-Piste, ganz unten: Agio Ioannis. Wolfgang ist zwar ein echter Kurven-Freund, aber mit seiner Höhen-Phobie ist uns sofort klar: diese Straße fahren wir nur einmal runter und einmal hoch! Als Ausgangspunkt für Fahrten zu an deren Küstenabschnitten ist dieser Ort für uns nicht geeignet.

Es ist heiß. Für die circa 8 Kilometer Serpentinen brauchen wir gefühlt gut eine Stunde. In der letzten Kurve begrüßt uns Charalambos freundlich mit seinem Moped und geleitet uns zum Studio. (Wie praktisch, denken wir, hier braucht man sich nicht anzukündigen, jeder sieht schon lange im voraus die Staubwolke, wenn ein Neuankömmling sich dem Dorf nähert.) Er gibt erste Tipps und erzählt, dass nicht nur die Saison hier zu Ende ist sondern auch die drei Tavernen und der einzige Mini-Markt im Ort geschlossen haben. Damit haben wir nicht gerechnet. Unsere letzten Reserven waren zwei Flaschen Wasser und zwei Äpfel. Vor unserem geistigen Auge erscheinen abenteuerliche Bilder unserer Verpflegungs-Beschaffung … Glücklicherweise erfahren wir, dass es noch ein offenes Café gäbe, und jenes steuern wir am Abend gleich an.

Das Καφέ Γιαλός [Café Gialos] entpuppt sich als wahrer Glücksgriff. Da in Agios Ioannis scheinbar häufiger „keine Saison“ ist, kocht Aspasia, die Wirtin, aus Mitgefühl für vorbeikommende hungrige Wanderer, jeden Tag etwas mehr, als sie selbst essen. Und so genießen wir täglich wechselnde, leckere Hausmannskost und die Ruhe auf der Terrasse mit Blick aufs Meer. Um 21 Uhr gehen auch hier die Lichter aus. Es sind noch immer 28 Grad und wir spazieren, beglückt vom Raki und den Ereignissen des Tages zu unserer Unterkunft.

Der kleine Naturhafen von Agios Ioannis 

Einsamkeit pur. Dieser kleine Ort, der scheinbar nur im Sommer von überwiegend Griechen als Feriendomizil genutzt oder von Küsten-Wanderern durchquert wird, ist ideal für Menschen, die die Stille zur Meditation und Selbstfindung suchen.

Nach einer heißen Nacht beschließen wir am Morgen etwas – für uns – völlig ungewöhnliches: Wir nehmen unser Schicksal an und sind einfach mal faul! Lesen. Sonnenbaden. Ein kleiner Strand lädt zum erfrischenden Bad ein. Herrlich. Doch die Sonne brennt und wir flüchten auf unsere schattige Terrasse. Eine kleine Erkundungs-Tour am Nachmittag führt uns zum verlassenen Höhlen-Kloster, welches dem Ort seinen Namen gegeben hat.

Höhlenkirche des Klosters Agios Ioannis Kapetanier, vermutlich aus dem  Jahre 1360. 

Am dritten Tag müssen wir uns bewegen und brechen – trotz anhaltender Hitze – früh zum Kloster Koudoumas auf. Der circa 4 Kilometer lange Pfad entlang der Küste Richtung Osten bietet tolle Ausblicke und kleine Kostbarkeiten.

Schiffswrack am Strand Agios Antonius

Die Felsenkirche Agios Antonius …

… mit der dahinterliegenden Zisterne

Vorbei an bizarren Felsformationen, ein Schiffswrack liegt unterhalb des Wegs, machen wir einen Zwischenstopp in der Felsenkirche Agios Antonius. Hinter der kleinen Kapelle liegt versteckt in Berg eine Zisterne. Welche willkommene Abkühlung! Das von Charalambos angekündigte Pinienwäldchen ist sehr licht, in dieser kargen Gegend gelten wohl Ansammlungen von mehr als 30 Bäumen schon als Wald. 😉

Das Kloster Panagia Koudoumas 

Knapp zwei Stunden Marsch durch die Hitze, und wir sehen das Kloster Koudoumas vor uns liegen. Nach einem erfrischenden Bad am klaren Kiesel-Strand gehen wir in den Klosterhof. Im Schatten der Kloster-Mauern  lauschen wir der Liturgie des Gottesdienstes, der gerade in der Kirche abgehalten wird. Eine stimmungsvolle besinnliche Zeremonie voller Ruhe und Frieden.

Zum Mittag wollen wir uns in der kleinen Strand-Taverne stärken und sind verwundert: Ohne zu fragen bringt man uns einen Teller Kritharaki mit Hühnchen, Wasser und Brot. Die Gottesdienstbesucher sitzen um uns her um und essen dasselbe: Δωρεάν! [Dorean!] Geschenk des Hauses für alle Pilger! Wir sind überwältigt.

Gastfreundschaft im Kloster Koudoumas: die Pilgerspeisung

Und so treten wir gut ausgeruht und gestärkt den Rückweg an, demütig und in Stille. Diese trockene, besonders karge und einsame Gegend hat seinen ganz eigenen Charme. Doch nach vier Tagen packt uns die Ungeduld. Wir haben genug Einsamkeit entdeckt! In der Ruhe liegt doch nicht unsere Stärke! Wir packen früher als geplant unsere sieben Sachen und winden uns mit dem Auto wieder über die Berge. Αντιο Αγιος Ιωαννις! Du bist eine ganz besondere Ecke von Kreta! Mit neuen Fotomotiven und Erfahrungen geht nun unsere Kreta-Reise weiter.

Im Schatten eines Olivenbaums des Klosters Agios Ioannis

Der Fotobildband „Im Schatten des Olivenbaums“ mit vielen Kreta-Fotos von Daniela und Wolfgang Wehrmeier ist zu beziehen über WIWLIO Verlag, https://wiwlio.jimdofree.com/

Mit einem Click auf das Banner kommt ihr zur Website von Daniela und Wolfgang.

3 Kommentare

  1. Ich gebe meinem Vorredner absolut recht, sind die Menschen nicht mehr fähig die zufällig von Ihnen entdeckten letzten Plätze der Ursprünglichkeit zu genießen und einfach den Mund zu halten um eben das was Sie gefunden haben zu bewahren um allen Individualreisenden die Chance zu geben diese Plätze für sich zu entdecken und nicht den Weg zu bahnen für irgendwelche Influencer, Leute einfach mal nachdenken und genießen und schweigen.

  2. Ehrlich gesagt halte ich Eure Einstellung für sehr widersprüchlich und etwas scheinheilig. Einerseits geigt ihr Euch an, wie Ihr das Ursprüngliche und die Einsamkeit genießt, andererseits wollt‘ Ihr einen Bildband über diese letzten idyllischen Flecken Erde herausgeben und schreibt Artikel über Eure Erfahrungen. Damit tragt Ihr mittelbar zur Zerstörung all dessen bei, was Ihr angeblich so schätzt. Die letzten Refugien entdecken, veröffentlichen, abkassieren und tschüss. Finde ich persönlich widerlich.

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