Die kretische Gastfreundschaft – die berühmte „Filoxenia“ (φιλοξενία) – ist ja nun mal legendär, wird immer wieder beschrieben und hoch gelobt – schließlich besuchen ja nicht wenige Touristen jedes Jahr (gerne auch mehrfach) genau deswegen diese Insel. Oder beschließen sogar, sich für länger oder gar immer hier niederzulassen.
Das alles wissen wir natürlich – genau, wie Ihr sicher auch. Allerdings haben wir diese Gastfreundschaft selten so treffend schön und dabei auch noch poetisch beschrieben gelesen, wie in Erhart Kästners Buch „Kreta“.
Und spätestens hier werden nun wieder Augenbrauen in die Höhe schnellen, Stirnen in Falten gelegt und mahnende Zeigefinger erhoben werden: Erhart Kästner? Dieser alte Nazi? Wie können die von Radio Kreta den überhaupt auch nur erwähnen? Nun – wir können, da wir ihn als Autor erwähnen, der uns mit seinen Worten sowohl berührt, als auch aus den Herzen spricht. Wohlgemerkt: mit den Worten in besagtem Büchlein. Von seiner politischen und ideologischen Gesinnung ist hier nichts zu entdecken und deswegen wollen wir auch diesen Textauszug gerne mit Euch teilen.
„Ist dieses Land nun arm oder reich? Je länger ich hier bin in Griechenland, desto weniger finde ich den Mut zu verallgemeinernden Richtersprüchen, die nur die Unkenntnis liebt. Natürlich ist dieses Land nicht reich, jeder weiß es; aber was es zu schenken vermag, schenkt es mit solch einer Güte, mit so lachendem Munde, so freudigen Herzens, reicht es mit solch einer Bedeutung dar, dass zwischen Geben und Nehmen das Geschenk zum Ereignis wird.
Hundertmal ist mir in Griechenland ein Glas Wasser mit solch einer Geste dargereicht worden wie nirgendwo anders köstlichster Wein. Ich sah einen Bauern das Glas vor dem Brunnen erheben und drehen gegen das Licht und loben, bevor er es trank; keiner pflückt hier eine Traube, ohne sie erst bewundernd zu halten. Und wer hier vorbeigeht als Fremder, muss teilhaben an der Fülle des Brinbaums oder an der Melone mit rotblutendem Fleisch.
Wer schenkt, ist ein König in diesem Augenblick. Also ist er auch reich.
So wird hier gepflückt, geschenkt und genossen. Demeter und Dionysos werden hier nicht mehr verehrt; ihr Andenken hat sich in nördliche Länder verzogen, die ihr Wesen nur ahnen als blassen Abendschein. Hier brauchten sie nur wiederzukehren. Es ist ihnen noch alles bereitet“.
Radio Kreta – manchmal auch poetisch.
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