Nun leben wir hier seit 10 (Scheffredakteuse) respektive 20+ Jahren (der dazugehörige Redakteur) dauerhaft, soll heißen ganzjährig, auf Kreta. Und nach allem „Gedöhns“, das wir uns in unseren jeweiligen vorherigen Leben angetan haben, mehr oder weniger freiwillig auf der „Höher-Größer-Weiter“-Welle, auf der wir uns allerdings nie wirklich allzuwohl fühlten, wollten wir nun dann wirklich, ehrlich und ganz echt zurück in ein einfaches Leben. Und dabei einfach LEBEN!
Geht in griechischen und auch kretischen Großstädten nicht so gut, da auch hier – Krise hin, Schulden her – das einfache Leben so was von „out“ ist, das glaubt man gar nicht. Sicher ist es natürlich auch in den Großstädten schwieriger „einfach“ zu leben, sind doch die Lebenshaltungskosten – Stichwort hier auch Heizkosten…. – um einiges höher, als auf dem Land. Also auch hier auf dem Berg…..
Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass der einzige wirkliche Luxus, den wir uns leisten, eine gut geheizte Bude ist. Wir heizen schon bei Temperaturen, bei denen der herkömmliche Kreter mit Daunenjacke, dicken Puschen und sichtbarem Atem vor dem Mund in der Stube sitzt und sich im besten Fall einen warmen Rakomelo gönnt – für die Wärme von Innen. Ok, die Tonne gutes Holz kostet derzeit zwischen 100 und 150 Euro – aber Wärme im kretischen Winter ist uns das wert. Und noch ein Luxus: ein Festnetz-Telefonanschluss und schnelles Internet. Auch das muss sein, denn Internet-Radio ohne Internet ist nun mal doof….
Dann wird halt woanders gespart. Viele Lebensmittel bekommen wir sowieso aus der winterlichen Natur – Wildgemüse, Pilze und Kräuter satt. Dann gibt es im Tausch zu selbstgebackenem Brot auch immer mal wieder ne Schippe Oliven, als Gegenleistung zur Katzenverpflegung der abwesenden Nachbarn ein paar Liter Olivenöl, eine Stiege Eier von „Nachbarin“ Maria (dafür wiederum bekommt sie den ersten Schweinekrustenbraten mit Knödeln und Kraut ihres Lebens!) – einfaches Leben ist machbar. Und auch bzw. gerade dann, wenn man viel Geld hat, ist eine solche Lebensweise sehr bereichernd, bringt sie das Dasein doch irgendwie auf den Punkt. Und das letzte Hemd hat ja eh keine Taschen….
Wir laufen auch nicht in Schutt und Asche rum, haben bei Sonnenschein durchaus heißes Wasser, riechen normalerweise auch nicht allzu streng und alle unsere Vierbeiner stehen gut im Futter und haben ihren tierarzttechnischen TÜV – und es ist ja nicht so, dass wir nicht auch mal schlemmen oder uns ein Vollbad gönnen würden. Aber halt nur manchmal – im Normalfall reicht „normal“ vollkommen aus. Und bereichert.
Aber wir sind ja nun mal doch ziemlich oft im Internet unterwegs, um uns auf dem Laufenden zu halten. Und genau daran droht die Autorin dieses Artikels manchmal zu verzweifeln – alleine schon an den Überschriften, denn die sind meist schon so abschreckend, dass man den dazu gehörenden Artikel gar nicht mal lesen möchte. Oder halt so platt und profan, dass man sich wirklich fragt, ob die Welt denn keine anderen Probleme hat.
Beispiel 18./19. Januar 2018 – ein Auszug aus spiegelonline.de, googlenews.de, welt.de und Süddeutsche.de:
- Lena Meyer-Landrut getrennt
- Prinz Philip in Autounfall verwickelt
- Diversität an Schulen: Toiletten für alle!
- Wohnungsbrand in Hamburg – Feuerwehr beatmet Katze
- Oma Goldie Hawn im Kreissaal – Näher als der Arzt erlaubt
- Das sind die besten Länder für ihren Ruhestand
- Klimawandel: Veganer könnten die Welt noch retten
- Sex mit anderen: Anna, 33, führt eine offene Ehe
- Bam Bam macht Boom Boom
- Mund zu, Arschbacken auf!
Und sonstige Spekulationen, wer nun Tussi Klum´s neuen Verlobungsring designt hat, ob Prinzessin XYZ nun wirklich schwanger ist und ob es denn ein Junge, ein Mädchen, oder doch ein Golum wird?, peinliche DSDS-Nachrichten, „Dancing on Ice-Unfälle“ irgendwelcher Pseudo-Filmsternchen, „Helikopter-Eltern-Panik-News“ und sonstiger Klum(p) – Geht´s noch? Gibt es keine wichtigeren Probleme auf diesem Planeten?
Wir vermissen echte, ehrliche und nachvollziehbare Berichterstattung über Themen, die die Welt interessieren und eventuell positiv verändern können – möglicherweise auch ohne orthographische Fehler, zumindest in der reißerischen Überschrift, bitte. Wurden denn alle Lektoren auch schon wegrationalisiert? Kann da vor Veröffentlichung nicht mal jemand drüber gucken?
Aber – Kritiker aufgepasst! – die griechischen Schlagzeilen sind auch nicht viel besser. Da verzweifelt man auch schon mal auf der Suche nach wirklich interessanten Neuigkeiten…
Wirklich bemerkenswert daran ist auch, dass sich alle laut eigener Aussage nach dem „authentischen Leben“ sehnen – aber keiner ist es! Also authentisch. Alle machen einen auf höher-größer-weiter, sind die Besten und Tollsten was-auch-immer-Darsteller, sind alle superglücklich und zufrieden – und dabei immer auf der Suche. Nach höher, nach größer, nach weiter – nach mehr. Oder auch nach einfacher. Aber bitte mit allem Komfort…..
Da wird ein uraltes Häuschen in den kretischen Bergen gekauft – sooooo authentisch, dass das Wasser bei Regen auch gerne mal direkt durch die Wände kommt – und wird, kaum ist man irgendwie zu etwas Geld gekommen und hat die Zelte in Deutschland komplett abgebrochen, um nun hier dauerhaft zu leben, mit einer Fussbodenheizung und italienischen Marmor ausgestattet.
Oder man stellt sich im nahegelegenen Ausländerdorf par excellence eine Riesenvilla – bzw. 3 davon auf dem selben Grundstück (die Familie ist leider total verkracht, da braucht jeder sein eigenes Haus, is ja klar….!) – mit beleuchtetem Swimmingpool und marokkanischen Kacheln hin (der marokkanische Fliesenleger wurde gleich mit eingeflogen….) und wundert sich dann, dass beim ersten, etwas stärkeren Erdbeben der am Hang gelegene Pool leider abrutscht. Ups! Und macht regelmäßige „Aperol-Spritz“-Parties, weiss aber nicht, was Retsina ist. Echt authentisch, ey!
Aber man ist ja auch naturverbunden und geht gerne wandern – natürlich nur in der allermodernsten, atmungsaktivsten und multifunktionellsten Outdoor-Bekleidung (kann mir eigentlich mal jemand erklären, was z.B. ein Multifunktions-BH noch so alles kann – also ausser seiner ursprünglichen Bestimmung? Würde mich echt mal interessieren….!) – am besten auch noch mit diesen Laufkrücken, ähm, „nordic-walking-Stecken“. Hier im Süden, kurz vor Afrika. Naja, vielleicht kippt man damit nicht so leicht um, wenn man den einen oder anderen Aperol-Spritz zu viel erwischt hat, man weiss es nicht…. Ach ja, und die Kopfbedeckungen nicht zu vergessen! Je schriller und skurriler, um so authentisch…. – oder so. Hat aber nicht mal mehr Wiedererkennungswert, denn irgendwann sehen irgendwie alle doch immer wieder gleich aus – da kommt man schon mal durcheinander….
Man rennt ja auch gerne mal im Juli und August mittags so gegen 14h zur größten Hitze, wo jeder normale Mensch sich irgendwo im Schatten oder am besten noch im kühlen Steinhaus eine Pause gönnt, in leichter Sportbekleidung den Berg hoch und runter. Oder macht das mit dem Rennrad – muss ja alles extrem sein. Ach so, ja – den Selfie-Stick dabei nicht vergessen – es muss ja dokumentiert werden, wie toll man seinen Urlaub oder seine Freizeit so verbringt.
A propos Freizeit: die wird dann auch – nach getaner Leibesertüchtigung – gerne in der Kneipe verbracht. Am Besten mit Landsleuten. Sich in der Muttersprache über alle möglichen und unmöglichen Misstände (gerne auch das Wetter – eine Frechheit, so ein Winter, das hatten wir uns aber anders vorgestellt! Und dabei geht doch die Fussbodenheizung noch gar nicht!!!) austauschen – das ist echt authentisch. Von Backgammon-Turnieren und Scrabble-Competitions ganz abgesehen – das braucht man hier unbedingt zu SchniPoSa (Schnitzel mit Pommes und Salat). Das kann man alles nämlich auch im gebrochensten Englisch regeln – da braucht man nicht mal Griechisch reden oder verstehen.
Die meisten „Auswanderer“ kommen hierher, um einfacher und „leichter“ zu leben. Und haben dann 14 Kubikmeter Umzugsgut und 2-3 Autos mit dabei. Da passt doch irgendwas nicht, oder?
Unser Tipp: Entrümpeln – und zwar Haushalt, Leib und Seele. Dann wird´s leichter. Und sich das Leben und die Mentalität hier mal wirklich anschauen und versuchen zu verstehen. Dann wird´s einfacher. Statt einer Katze oder einem Hundebaby hin und wieder mal den Schädel zu tätscheln, sich einer dieser Kreaturen dauerhaft und konsequent annehmen – die kosten gar nicht so viel, wie man meint – einfach zweimal weniger in die Kneipe, und der Tierarztbesuch ist locker bezahlt, drei bis viermal weniger und das Tier ist gefüttert und hat´s warm….
Über diese Meinung kann jetzt geschimpft oder gebesserwissert werden – aber manchmal muss man sowas halt auch mal los werden. Vielleicht gibt es ja doch den einen oder anderen Denkanstoß. Das wäre schön, denn einfach Leben geht. Wie unser Freund Koschi, der Mutmacher immer sagt:
„Mach es EINFACH, und dann MACH es einfach!“
Yassas, einwirklich gelungener Artikel, du hast den Zeitgeist richtig getroffen.
Als langjähriger Griechenland Urlauber war es immer faszinierend mit wie wenig Luxus die Befölkerung hier lebt. Eine grosse Terasse, ein kleiner Garten mit Gemüse und ein Wohnraum zum kochen,essen und schlafen. Viel Sonne, Meer,Raki und viel Familie sowie Siga,Siga für ein zufriedenes Leben. Aber auch in Griechenland verändert sich das Leben, meiner Meinung sind da die modernen Medien (Twittwer, Facebook, Instergramm) SAT TV nicht ganz unschuldig.
Kalimera,
ein guter Artikel. In der Fotostrecke ist mir aufgefallen, daß kein Einziger lacht; lediglich Camilla und Charles schmunzeln ein wenig und sehen nicht ganz so belämmert aus wie der Rest. Im Gegenteil, die machen alle einen eher unzufriedenen und genervten Eindruck. Vielleicht liegt’s ja an der Bekleidung, daß man sich so unwohl fühlt. Der Touri wie er leibt und lebt.