Lebens-Wandel. Begleiterscheinungen, Teil 51 für www.radio-kreta.de vom 31. Juli 2022.
Reisen bildet – wer kennt ihn nicht, den Sinnspruch seit der frühen Neuzeit. Goethes, Italienreise, Lord Byrons Griechenlandberichte, Kaiserin Sissi auf Korfu. Reisen bildet und bildet zugleich ab.
Immer wieder habe ich in den „Begleiterscheinungen“, wenn sie in Griechenland oder meistens auf Kreta verfasst wurden, Beobachtungen und Empfindungen miteinander verquickt, aus denen ich – banale oder tiefgründigere – Schlüsse glaubte ziehen zu können. Das verhält sich auch jetzt nicht anders. Mit Blick auf die imposante Felsklippe zwischen dem Kommos und Matala, vor den 36 Grad Celsius im Schatten und der gleißenden Sonne von einer Tamariske etwas beschirmt denke ich daran, dass sich mein Leben wandelt. Nicht nur, dass man stärker den Schatten sucht, je älter man wird, sondern auch, weil das Ende des Berufslebens mit Siebenmeilenstiefeln naht.
Schon bald wir für mich der Titel von Alice Coopers Riesenhit „School´s out (for ever)“ gelten: „No more pencils, no more rules, no more teachers…“ KeinWecker, mehr um 6.20 Uhr, keine Korrekturen mehr bis in die Mitternachtspuppen! Nein , ich habe mich nie über meinen Beruf beklagt, er hat mir viel Freude bereitet und mir genügend Zeit für die Wissenschaft erübrigt. Doch der Wunsch nach einem Lebens-Wandel macht sich stärker und stärker geltend. „Your time is gonna come“- spielten Led Zeppelin auf ihrer ersten LP, ebenso machten die Rollin Stones „Time is on my side“ zum Hit. „So soll es sein- so muss es sein- so wird es sein!“ – stammt das nicht von Wolf Biermann?
Andere Dinge überlagern diese Form des Lebens-Wandels. Die Klimakrise ist Realität, keine Fiktion – das müsste jetzt vielleicht selbst dem letzten Skeptiker gewahr geworden sein. Die Zeit der funktionierenden und uns das Leben federleicht machenden Globalisierung auf den Rücken ärmerer Volkswirtschaften ist unwiederbringlich vorbei. Die „Friedensdividende“ war ein hohles Versprechen, es ging und geht vor allem um geopolitische Macht. Russland hat den Ukraine-Krieg begonnen und begeht schlimme Kriegsverbrechen, aber wer den „Westen“ von Kriegsverantwortung freispricht, ist bodenlos naiv.
Das atomare Damoklesschwert hängt wiederum über der Menschheit – und wer die Büchse der Pandora öffnet, wird zwar von der Weltöffentlichkeit geächtet werden, schafft jedoch einen Präzedenzfall, auf den sich eine zweite Macht skrupellos stützen dürfte. Sollte Putin irgendwann einmal im Ukrainekrieg auch „nur“ nukleare Artillerie einsetzen, ist er genau so ein atomarer Kriegsverbrecher wie Präsident Truman, der Hiroshima und Nagasaki befahl. Der nächste große Krieg, zweifellos im Südpazifik und wegen Taiwan drohend, wird dann zwangsläufig zum Atomkrieg, will die Hemmschwelle der Völker vorher gesenkt worden war. Diese Art des Lebens-Wandels ist die gewiss schwerwiegendere. Wir dürfen davor nicht die Augen verschließen.
Vor dieser Möglichkeit einer Katastrophe globalen Ausmaßes durch einen atomaren Krieg können wir genauso wenig die Augen verschließen wie vor der bereits ablaufenden Klimakatastrophe. Niemand sollte sich vor der Furcht wegducken, das erleichtert den Bösewichtern ihr in Art und Weise würdeloses Handeln.
Wir müssen, gerade auch im Interesse der auf uns folgenden Generationen, denen wir aus Selbstsucht einen Planeten in bedauernswertem Zustand hinterlassen werden, den Bösewichtern Einhalt gebieten. Wir dürfen das Leben genießen und es uns schön machen, aber so, dass wir Niemandem die gleiche Möglichkeit verwehren. Und wir müssen endlich den Mut haben, die Dinge beim Namen zu nennen, wenn die großen und kleinen Staatenlenker die Begriffe verwirren, Krieg ist Krieg und damit immer ein Krieg gegen die Menschlichkeit.
Dieser großartige blaue Planet beherbergt 8 Milliarden Menschen, von denen es vielen besser ginge, würden bei uns nicht die Gesetze des Profits und des Egoismus gelten, sondern die des Teilens und der Solidarität. Ob man sich dabei auf Jesus, St. Martin, Mahatma Gandhi oder Karl Marx beruft spielt keine Rolle, es kommt aufs Gleiche raus. Und mit Blick auf den Psiloritis denke ich, auch Zeus wäre mit dabei. Und ganz sicher auch Kuchen-Uwe!!
(Geschrieben am Kommos Beach/Südkreta)
Mehr von Holger Czitrich-Stahl hier.
Danke für den wunderbaren Bericht mit Ihren persönlichen Reflektionen.