Griechenland – Wie man auch mit wenig satt wird

Wie man auch mit wenig satt wird
Rezepte aus der Kriegszeit haben in Griechenland Konjunktur.

ATHEN. Sie hat Bücher über den Dichter Sophokles geschrieben und die Seeschlacht von Salamis, hat den Mathematiker Archimedes gewürdigt und die Geschichte der Olympischen Spiele im antiken Griechenland aufgearbeitet. Aber der jüngste Band der griechischen Historikerin Eleni Nikolaidou scheint das Zeug zum Bestseller zu haben. „Die Rezepte des Hungers“ heißt das Buch, für das immer mehr Griechen bereitwillig 12,90 Euro bezahlen – wohl nicht zuletzt in der Hoffnung, mit der Lektüre Geld zu sparen.

Die von Rezession und Arbeitslosigkeit gebeutelten Griechen müssen kürzer treten, auch bei den Lebensmitteln. Das Buch erklärt, wie man auch mit wenig satt wird. Aber Eleni Nikolaidou hat eigentlich kein Kochbuch geschrieben. 18 Monate lang hat sie in Archiven griechische Zeitungen aus den Jahren 1941 bis 1944 gesichtet, der Ära der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg. „Die Idee kam mir, als ich zufällig auf eine Zeitungsüberschrift aus jener Zeit stieß: „So sammelt man Brotkrumen“, erzählt Nikolaidou. „Das weckte meine Neugier.“

Bald entdeckte Nikolaidou in den Zeitungen aus den Kriegsjahren eine Vielzahl von Rezepten, mit denen man selbst unter schwierigsten Bedingungen eine Familie einigermaßen satt bekommen kann. Fleisch war damals so gut wie gar nicht zu bekommen. Also bereiteten die Griechen „Fleischbällchen“ aus geschrotetem Weizen. Rosinen, Oliven, wilde Kräuter, Kohl und etwas Getreide waren in den Besatzungsjahren die Grundnahrungsmittel, aus denen die Hausfrauen ein möglichst sättigendes Mahl zaubern mussten. Nikolaidou entdeckte in den alten Zeitungen auch diesen Tipp: „Kauen Sie ihr Essen möglichst lange – dann fühlt sich der Magen länger voll an.“ Weggeworfen wurde nichts. Selbst aus Kartoffelschalen und Gemüseresten brauten die Hausfrauen eine Brühe.

Die Zeit, aus der die Hungerrezepte stammen, war eine dunkle Ära für die Griechen. Im Winter 1941/42 verhungerten und erfroren 300 000 Menschen, weil die deutschen Besatzer Brennstoffe und Lebensmittel beschlagnahmten. „Ich hörte die Menschen nachts vor Hunger heulen, und jeden Morgen fuhr die Straßenreinigung mit Holzkarren durch die Stadt, um die Toten aufzusammeln“, erinnert sich der heute 93-jährige Ex-Premier Kostas Mitsotakis. So verzweifelt ist die Lage des Landes heute natürlich nicht. Aber auch jetzt hungern viele Griechen. 250 000 Menschen verköstigt allein die orthodoxe Kirche täglich bei ihren Armenspeisungen. Lehrer berichten von unterernährten Schulkindern. Nach einer Statistik von Eurostat leben bereits knapp 28 Prozent der Griechen an der Armutsschwelle – das sind mehr als drei Millionen Menschen.

Quelle: Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der Badischen Zeitung. Von: Gerd Höhler