Aus der Politik: Griechenland ist wie die Mongolei

Quelle: Wirtschaftswoche

Kolumne von Hans-Werner Sinn, Kolumne Denkfabrik

Was haben Griechenland und die Mongolei gemeinsam? Beide sind Schwellenländer, leiden unter der holländischen Krankheit, und ihre Binnenwirtschaft ist unterentwickelt. Zudem hat sich in beiden Ländern eine Oberschicht auf Kosten der Allgemeinheit bereichert.

Der frühere US-Finanzminister Henry M. Paulson hat in einem Gastbeitrag für das „Handelsblatt“ vor einer neuen Finanzkrise gewarnt. „Besteht die Gefahr einer erneuten Finanzkrise? Das ist die Frage, die mir seit meinem Abgang aus dem Finanzministerium am häufigsten gestellt worden ist. Ich fürchte, dass die Antwort darauf „Ja“ lautet“, schreibt der langjährige Chef der Investmentbank Goldman Sachs. Dafür nennt er drei Gründe: 1. Auch fünf Jahre nach der Finanzkrise seien bei der Reform der staatlich geförderten Baufinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac keinerlei Fortschritte erzielt worden. 2. „Wir sind den Markt der Schattenbanken nicht angegangen“, so der Ex-Politiker. 3. „Wir streiten noch immer darüber, ob wir das Dilemma der ,too big to fail‘-Banken gelöst haben.“ Dies sei inakzeptabel und müsse aus der Welt geschafft werden.

Zurück von einem Besuch in der Mongolei drängt sich mir der Vergleich mit Griechenland auf. Beide Länder sind Schwellenländer, die nach den Regeln der OECD nicht zu den entwickelten Ländern dieser Erde gehören. In beiden geht es recht chaotisch zu. In den Städten herrscht ein Wildwuchs privater Wohnbauten, die mangels einer funktionierenden Stadtplanung auf korrupte Verwaltungssysteme schließen lassen.

Der Lebensstandard ist beachtlich, aber verzerrt. An modernen Autos, iPads, Flachbildschirmen, Parabolantennen und Louis-Vuitton-Geschäften mangelt es nicht, wohl aber an Straßen und anderen Elementen der öffentlichen Infrastruktur. Abgesehen von der Landwirtschaft bieten nur der Staat, der Handel und internationale Organisationen neue Stellen.

Kranke Wirtschaft

Ein produzierendes Gewerbe fehlt. Noch nicht einmal eine auf landwirtschaftlichen Produkten aufbauende Wertschöpfungskette wurde entwickelt. Die Mongolei mit ihrem riesigen Viehbestand von 40 Millionen Tieren bei nur 2,9 Millionen Einwohnern importiert gekühlte Milch aus Neuseeland. Griechenland kauft Tomaten in Holland und Olivenöl in Deutschland.

Die Natur ist freilich wunderschön, und die Menschen sind offen und freundlich. Der Tourismus ist nur in Griechenland gut entwickelt, obwohl beide Länder prächtige Landschaften haben und durch die Freundlichkeit ihrer Menschen überzeugen.
Beide Ökonomien haben eine unterentwickelte Binnenwirtschaft und finanzieren ihre Importe großenteils mit Geld, das nicht aus dem Export produzierter Güter stammt. Die Mongolei lebt vom Export ihrer Bodenschätze und Griechenland vom Export seiner Schuldscheine. Die entsprechenden Erlöse sichern den Lebensstandard, erzeugen aber deswegen auch Löhne, zu denen eine wettbewerbliche Industrie nicht aufgebaut werden kann.

Beide Länder leiden unter der holländischen Krankheit, einem Phänomen, das man nach den Gasfunden der Sechzigerjahre in Holland beobachtet hatte. Die Erlöse aus dem Gasverkauf schwemmten viel Geld nach Holland, das für Lohnerhöhungen im Privatsektor und beim Staat verwendet wurde und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft unterminierte. Erst mit dem Abkommen von Wassenaar aus dem Jahr 1982 gelang es, den verhängnisvollen Lohntrend zu brechen und die Wirtschaft zu retten.

Für die zerstörerischen Wirkungen des Geldzuflusses kommt es nicht darauf an, wie dieser Zufluss zustande kommt.