Leben auf Kreta: In Harmonie mit dem Gesetz des Lebens.

Wie versprochen geht es weiter mit dem „Leben auf Kreta“. Für uns ja sowieso täglich – und die dazu anzustellenden Überlegungen und Schlussfolgerungen wollen wir Euch ja nun mal auch nicht vorenthalten. Sicherlich eine der meistdiskutierten Fragen ist das Rätsel der Langlebigkeit der Kreter.

Oft auch im hohen Alter noch fit und vital, lassen sie doch den einen oder die andere Nord- und MitteleuropäerIn vor Neid und Ratlosigkeit erblassen bzw. einfach ratlos dastehen lassen.

Sicherlich spielen da viele Faktoren eine Rolle, angefangen vom Klima, den vielen Sonnenstunden, die ja nun mal durchaus und erwiesenermaßen positiven Einfluss auf die Vitamin- und Hormonproduktion haben, dem Sozialverhalten, der Aufrechterhaltung althergebrachter Traditionen bis hin – der geneigte Kreta-Fan wird es schon vermutet haben – zur Ernährung der Kreter.

Und auch zu diesem Thema weiss der Immunologe Dr.med. Peter Schleicher einiges zu sagen – nicht alles neu, aber doch mal wieder auf den Punkt gebracht. Sein Buch „Die sensationelle Kreta-Diät“ (was wir von diesem reißerischen Titel halten, haben wir bereits an anderer Stelle ausgeführt) ist zwar erst im Jahre 2002 erschienen, bezieht sich aber doch auf eher althergebrachte Erkenntnisse, denn z.B. Esel sieht man hier nur noch selten und auch in den abgelegensten Bergdörfern hat mittlerweile eine gewisse Mechanisierung  und Industrialisierung Einzug gehalten. Dennoch finden wir es schön und treffend beschrieben – die Arbeit hat sich nicht wesentlich geändert, der damit verbundene Tagesablauf auch nicht. Also zitieren wir heute aus dem Kapitel – „In Harmonie mit dem Gesetz des Lebens“ aus ebendiesem Büchlein. 

Bukolische Lebensart im kretischen Hinterland

Wie leben und ernähren sich die Kreter? Nun, da muss man wohl über den Touristenboom der letzten Jahrzehnte auf die jahrhundertealten Gewohnheiten eines kargen Bauern- und Hirtenlandes zurückgreifen. Nur einige Tausend der gut halben Million Bewohner Kretas profitieren ja an den wenigen Zentren und Küstenorten vom monatelangen Fremdenverkehr. Für die meisten Kreter fällt dabei höchstens ein kleiner Nutzen ab, durch den sie sich – gottlob – kaum von ihrere Lebensart abbringen lassen, denn dann würde es noch schwerer für sie. Landflucht, Arbeitslosigkeit, urbane Wüsteneien – unter diesen Problemen leidet schon ihr griechisches Mutterland, um dessen Metropole Athen sich fast die Hälfte der Bevölkerung staut….

Der weitaus größte Teil der Kreter lebt im karstigen Inselinneren, an grünen Hängen, fruchtbaren Tälern und den weniger besuchten Küstenstreifen nach alter Art.

Deren Schilderung mag ein wenig „bukolisch“ (*) vorkommen – wie es einst Theokrit (um 300 v.Chr.) und Vergil (70 bis 19 v.Chr.) in ihren Hirtengedichten (Bucolica) besangen. Doch schon damals steckte in diesem Lobpreis natürlicher und einfacher Lebensart einige Ironie; denn es ist nicht nur ein genügsames und gesundes Leben, sondern auch ein hartes und arbeitsames. Bukolisch ist daran allenfalls, dass es uns freundlich und gar wünschenswert scheint – doch würden wir Zivilisationskinder dieses Leben wohl kaum auf uns nehmen.

Aber lernen können wir von den Kretern viel und für den Umgang mit unserem Leben eine Menge.

Lernen von den „alten“ Kretern

Freilich ist mit dieser Lebensweise auch eine bestimmte familiäre Lebensform verbunden, die sich in unserer aufgeklärten Industriegesellschaft aufgelöst hat. Die kretische ist – wie die griechische – eine Männergesellschaft, fern im östlichen Mittelmeer, und das ändert sich nur ganz allmählich. Vereinfachungen sind in unserer Schilderung vom Leben auf Kreta nach alter Art also zulässig und nicht ganz unrealistisch.

Der kretische Mann ist Schäfer und Landwirt auf kargem Boden und spärlicher Weide unter stetem Wind und den Strahlen der Sonne. Die Feuchtigkeit versickert rasch; doch jeder Tropfen Flüssigkeit wird unter diesen Naturbedingungen von den Pflanzen aufgenommen und umgesetzt zu ihren Früchten, die sich in der Wärme prächtig entwickeln.

Man steht früh auf in Kreta, wenn das Licht noch weich und die Erde unter dem Nachtmeer kühl ist. Es sind die Morgenstunden, in denen Bauern und Hirten bei ihrer Arbeit vom Zwitschernd der Vögel, dem Zirpen der Grillen, den Schreien der Ziegen und Schafe begleitet werden. Tagsüber werden die Tiere stiller, doch der Begleiter erkennt sie am Klang der Halsglöckchen, wenn sie am Hang nach Gräsern und im Schatten der Olivenbäume Kühle suchen. Er liebt diese Erde und genießt die Ruhe in seinen Arbeitspausen.

Oft hat er einen Esel, der das Arbeitsgerät, Wasser, Brot und Käse für den Imbiss trägt. Nein, er ruht nicht nur – bukolisch – unter den Zweigen: Er hat schließlich auch eine Herde zu betreuen und zu lenken, die Feldstücke zu harken und zu pflegen, auf ihre Bewässerung zu achten, zur rechten Zeit die reifen Gemüse und Früchte einzusammeln für den Täglichen Bedarf und den Markt, von den Mühen der herbstlichen Olivenernte ganz zu schweigen. Der Mann arbeitet, aber er tut es nicht mit dem Einsatz effizienter Maschinen, die ihm nicht zur Verfügung stehen, sondern, so sagt man heute wohl, im Einklang mit der Natur. Mit Händen, Hacke und Schaufel.

Ein Vergnügen ist das nicht, denn nahe Quellen sind selten, und die Bewässerungssysteme minoischer Zeit gibt es im „modernen“ Kreta längst nicht mehr. Doch der Abend – ein ebenso früher Abend – der gehört zum Tag.

Man kommt zurück ins Dorf. Nicht gleich ins eigene Heim, zu Weib und Kind, sondern ins Kafenion, wo sich die Männer nach getaner Tagesmüh für ein oder zwei Stunden versammeln. Auch diejenigen, die wenig Mühe oder gar keine Arbeit hatten oder schlicht die Honoratioren des Ortes sind. Denn so sind sie gewohnt, miteinander umzugehen, ein unaufgeregtes Gleichmaß des Ausruhens auch dies, bei einem Glas Limonade, einem Tässchen Kaffee, viel Zigarettendunst und vielleicht einem Becher Wein – einem, selten mehr.

Gutes Essen im Kreise der Lieben

Denn nun wartet zu Hause die Familie mit dem Abendessen, das nach der sparsamen Vesper mit etwas Käse, Brot und Früchten untertags Not tut. Das Mahl ist vor allem aus den am Tag geernteten Pflanzen zubereitet: Auberginen, Artischocken, Portulak, Zucchini, frischen Hülsenfrüchten, Kichererbsen, dicken Bohnen und Lupinen. Dazu gibt es schmackhaftes Vollkornbrot aus dem Dorf oder dem eigenen Ofen, das großzügig mit dem „Gold des Südens“ getränkt, d.h. in Olivenöl getunkt wird. Und Obst, viele frische Früchte….

Fleisch steht selten öfter als einmal in der Woche auf dem Tisch, meist vom Lamm oder Huhn, und oft mit Gemüsen und Teig zu Eintöpfen, Aufläufen, Spießen oder Pasteten verarbeitet; Innereien sind beliebt. Fisch, frisch oder getrocknet aufbereitet, findet man je nach Region ein- oder zweimal wöchentlich auf dem Speisezettel – und häufig sind es Meeresfrüchte.

Gewürzt werden diese Speisen reichlich, vor allem mit kräftigen Kräutern. Dem selten üppigen Hauptgericht folgen Salat, Obst oder Gebäck, Datteln oder Nüsse, Gurken oder Paprikaschnitze. Das passt gut zum selbst angebauten Wein, der das ganze Mahl gemächlich begleitet und abrundet. Es kann ja auch sein, dass man den Abend noch mit einem fröhlichen Tanz in der Runde von Freunden vor Mitternacht beschließt.

Samstags gibt es ein großes Essen im Kreis der ganzen Familie mit Großeltern, Kindern und Freunden. Das dauert lang, man isst langsam und kostet den Genuss und das Beisammensein aus.

Am Sonntag versammelt sich das ganze Dorf, Jung und Alt und auch von den abgelegenen Höfen, in der griechisch-orthodoxen Kirche, das gehört zum Ritus und Rhythmus des Lebens. Nach Mittag wird geruht, ehe man sich wieder zu Gesprächen mit Verwandten und Freunden in vertrauter Runde trifft, dazu ein wenig Fleisch grillt und zu den frischen Gemüsen und Früchten und dem Weinkrug auf der Tafel greift, um das Wochenende ausklingen zu lasen.

Kontrastreiches kretisches Leben

Es ist ein einfaches Leben, ein bescheidenes, aber selbstbewusstes. Arbeit und Erholung, Einsamkeit und Geselligkeit bilden sich ergänzende Kontraste. Stolz und demütig hat man die Kreter genannt, rau und freundlich. Schon wieder Gegensätze, die doch eines deutlich machen: Diese Menschen wissen sie offenbar natürlich zu vereinen und stehen im Einklang mit sich selbst. Naturell, Lebensart und Ernährungsweise formen hier eine Einheit, die zur außergewöhnlichen Resistenz der Kreter gegen Erkrankungen und zu ihrem hohen Lebensalter beiträgt.

Der Epidemologe Ory Blackburn hielt sich bei seinem aufregenden Befund ganz nüchtern an statistische Fakten: Die Menschen auf Kreta haben die geringste Wahrscheinlichkeit, an einem Koronarleiden zu erkranken; sie besitzen die niedrigste Sterberate und die höchste Lebenserwartung in der abendländischen Welt. Mediziner und Ernährungsphysiologen haben die Feststellung des amerikanischen Bevölkerungswissenschaftlers auf Ursachen zurückgeführt und mit Zusammenhängen erklärt, die man sich im Abendland auch nutzbar machen kann, ohne Kreter zu sein.

Und schon sind wir wieder bei der „Kreta-Diät“ und der „kali paréa“. Und dazu gibt´s dann demnächst wieder mehr.

(*) Bukolische Dichtung (Bukolik, von griechisch „βουκόλος“ – boukólos, dt.: Rinderhirte) bedeutet „Dichtung, die sich auf das Leben der (Rinder-)Hirten bezieht“.

Aus den sizilisch-griechischen Hirtengesängen entstanden, wurde die Bukolik im Hellenismus zur literarischen Gattung. Einzuordnen ist sie zwischen dem Drama und dem Epos: Vom Epos borgt sie das epische Versmaß, den Hexameter. Die einzelnen Gedichte sind oft als Dialoge zweier Hirten aufgebaut, was der bukolischen Dichtung einen dramatischen Charakter verleiht. Als reizvoll galt die Gattung unter anderem aufgrund der Spannung zwischen ihrem heroischen Versmaß und ihrer Beschreibung alltäglicher Szenen einfacher, „unheroischer“ Menschen.

Ihr bedeutendster Vertreter ist Theokrit, dessen Idyllen (griech. Eidyllia, wörtl. „kleine Bildchen“) in der Magna Graecia oder auf Kos spielen und sich durch einen mitunter kruden Realismus der Darstellung des Hirtenlebens auszeichnen.

Mehr zum Leben auf Kreta.