Interview von RADIO-KRETA mit dem Berliner Schriftsteller Harald Gröhler:
RADIO-KRETA: Wenn Du nur 5 Worte hast, um Dich selbst zu beschreiben: Was würdest Du sagen?
„Da sage ich: ich, Single, bleibe das Zoonpolitikon. Die Griechen, unter denen ich hier ja bin, verstehen das ‘Gemeinschaftstier‘ sofort. Also das ‚Gemeinschaftswesen‘, einen Ausdruck des Aristoteles.“
RADIO-KRETA: Wann, warum und wie hast Du Kreta für Dich entdeckt?
„1988 hab ich das. Warum? Weil meine Schwester hier wohnt. Ich hab sie besucht und hab Kreta auf Anhieb toll gefunden. Aber diesmal 2019 geht’s nicht mehr um Entdeckung. Ich kenne seit 2014 den Mitveranstalter Steffen Marciniak. Und seit 2017 die Edit Engelmann, die Veranstalterin. Steffen hat mich nun intensiv beschwatzt, ich soll mitmachen. Immerhin, dazu muss man ja erst mal quer durch Europa hier her jetten! Also das überlegt man sich schon mal. Aber umso lieber bin ich jetzt auch gekommen. Zum 6. Griechisch-Deutschen Lese-Festival Kreta Chania und Paleochora.“
RADIO-KRETA: Sonst hast Du weiter keine Bezüge zu Griechenland und Kreta?
„O doch, eine ganze Menge. Ich bin Schriftsteller, hauptberuflich, und ich war schon als Schüler mal nach Griechenland getrampt, per Auto-Anhalten. Von Westdeutschland aus. Auf die Weise ging das mit meiner Liebe zu Hellas an, – ganz gegen die Schule, in der ich nämlich mit Altgriechisch ziemlich traktiert und gequält wurde.“
RADIO-KRETA: Da hattest Du zuerst was gegen das Griechische?
„Dagegen, auch noch die Sprache zu lernen. Aber so eben, über die lebendigen Griechen, die zu mir unwahrscheinlich nett waren, klinkte sich für mich das Interesse für die griechische Antike ein und für die altgriechische Mythologie. Gar nicht durch das Gymnasium in Nordbayern. Und solche Mythologie-Thematiken habe ich dann, als ich Gedichte schrieb, immer wieder mal mit ‘reingenommen in meine Gedichte. Genauso auch jetzt noch. Ich erzähle da nicht klassische mythologische Zusammenhänge einmal mehr nach, sondern das wird jeweils ein ganz spannendes neues sprachliches Produkt. Es wird etwas, was mich dann selber im Endeffekt oft überrascht. Griechisch-klassisch-einst und Heute-gegenwärtig kommen da zusammen, und manchmal kommt auch Ich-Bezügliches dazu.“
Radio Kreta: Machst Du das nur in Gedichten so? Schreibst Du nur Gedichte?
„Ich werde grade hier in Paleochora eine Geschichte lesen. In der geht es um den Thanatos – den Gott des Todes – und um Hypnos – den altgriechischen Gott des Schlafes –; die alten Griechen haben die beiden als Brüder empfunden. Und es geht in meiner Geschichte um Heutige und um mich selber als einen Vertreter der Heutigen. Es kommt dann zu verblüffenden, mal himmelschreienden, mal ganz alltäglichen Situationen, ich will mich ja auch selber nicht langweilen beim Schreiben. – Also ich schreibe keineswegs nur Gedichte. Bei Gedichten probiere ich nur am ersten etwas aus.“
RADIO-KRETA: Was schätzt Du am meisten am Urlaub hier?
„Urlaub machte und mache ich hier nicht. Damals 1988 war das eine Reise, weil ich beruflich – ich bin eben Schriftsteller oder mein’twegen Dichter – verschied‘ne Sachen mit meiner Schwester besprechen wollte. Das ging auch immerhin um eine große politische Institution. Heute, diesmal, bin ich hier, weil ich auf dem 6. Lesefestival mehrere Lesungen habe. Also glatter Beruf. Und ich hänge auch keine Ferien dran.
RADIO-KRETA: Was vermisst Du am meisten im Vergleich zum Leben zu Hause?
„Nichts! Durch Deine Frage wird mir das erst richtig klar. Durch meine Schwester weiß ich: die geht manchmal lieber in Deutschland zu einem Facharzt als hier. Aber ich brauch ja keinen Facharzt! – Und dass hier so viele Häuser nicht abgeschlossen sind, sondern die Haustür sogar aufsteht, … ich vermisse die individuelle Verbarrikadierung wie in Berlin nicht, sondern ich bin glücklich über solche Zustände wie hier. Und ich versteh, dass meine Schwester hier mit einem Seemann, späteren Fischer verheiratet ist. Sie hat mit ihm eine Tochter. Am Ende des Besuchs 1988 bei meiner Schwester bin ich dann übrigens mit ihrem Fahrrad in einer Kurve weggerutscht, hingeknallt und hab‘ ich mir im Eselskot oder wo eine Blutvergiftung geholt. Das weiß meine Schwester aber bis zu dieser Sekunde gar nicht. Ich hatt’s ihr nicht erzählt, sondern ich bin dann schnell nach Deutschland zurückgejettet; so wurde mir ‘s Leben gerettet.“
RADIO-KRETA: Wie nimmst Du als Xenos – als Fremder und Gast – die Menschen hier wahr?
„Also in Paleochora sind sie ausgesprochen freundlich, sie lächeln mich oft mal kurz an. Diese Aufgeschlossenheit geht so weit, dass ich mich schon kurz gefragt hat: Ist das Geschäftstaktik? Aber nein, ich kann das nicht als kalkuliertes berechnendes Verhalten empfinden.“
RADIO-KRETA: Womit sind Deine Tage jetzt ausgefüllt, was treibt Dich um?
„Mit dem Präsentsein auf den Veranstaltungen, bei den Lesungen meiner Kolleginnen, Kollegen, und mit der Vorbereitung meiner eignen Auftritte. Mit dem Kennenlernen der Kolleginnen, Kollegen; einige kannte ich schon, die Mehrzahl noch nicht. Einkaufen kostet auch ein bisschen Zeit; ich verpflege mich nicht nur per Restaurant in dieser Woche. Und mit meiner Schwester und ihrem Mann habe ich die Unterhaltungen. Die beiden sind 350 km hierhergekommen.“
RADIO-KRETA: Was schätzst Du am meisten an Deinen griechischen Gastgebern?
„An den Griechen, mit denen ich hierzu tun krieg, musst Du sagen, denn ich wohn hier in einer Wohngemeinschaft, die Gastgeber seh ich praktisch nicht. Ich schätz‘ ihre Offenheit, ihre sozusagen erst mal unbesehene Freundlichkeit mir Fremdem gegenüber.“
RADIO-KRETA: Welches ist Dein Lieblingsstrand und Deine Lieblingstaverne hier in der Gegend und warum?
„Mein Lieblingsstrand ist Pachia Ammos Beach. Der feine und auch saubere Sand. Der, wenn man sich die Schuhe ausgezogen hat, ab Mittag so heiß wird Mitte Juni, dass man keine 20 Schritte barfuß das aushält. Ich hab mir da jedesmal nach einigen eiligen Schritten die Schuh‘ wieder angezogen. – Meine Lieblingstaverne ist Bei Harry. Weil ich gesehen hab, wie da die Familienmitglieder selber, alle drei, den Laden schmeißen, und weil sie nett sind.“
RADIO-KRETA: Wovon möchtest Du, dass es sich in Paleochora, auf Kreta, nie ändert?
„Dass die weitgehende Privatinitiative, jenseits der Präsenz von Großfirmen, bleibt. Dass die Familienbetriebe bleiben. – Und dass auch weiterhin so viele Frauen auf Motorrädern unterwegs sind, ob schlank oder fett die Fahrerinnen.“
RADIO-KRETA: Und was sollte sich hier unbedingt ändern?
„Unbedingt nichts. Aber es wäre o.k., wenn die Motorisierten auf Straßen, wo die Bürgersteige nur 39 Zentimeter breit sind, bei Fußgängern auch einen ja nicht vorhersehbaren Schritt zur Seite mit einkalkulieren.“
RADIO-KRETA: Haben Sie sich an ausländischen Festivals schon öfter aktiv beteiligt?
„Ich war schon oft aus literarischen Anlässen im Ausland. Zum Beispiel führte ich in Ankara ein öffentliches Dichter-Interview durch, vor 300 Hörern; Veranstalter war das Goethe-Institut. Oder: ich hatte mehrere Gastprofessuren halbjahrelang an Universitäten bei den Amis in den USA. Oder ich hatte ein UNESCO-gestütztes Stipendium auf der schwedischen Insel Gotland. – Vom 3. bis 8. Februar 2017 war ich mit mehreren Auftritten an dem Griechisch-Deutschen Lesefestival aktiv beteiligt, das Steffen Marciniak in Berlin ausgerichtet hat. Da habe ich gesehen: was er in die Hand nimmt, das klappt. Da muss man nämlich schon aufpassen.“
RADIO-KRETA: Was könnte denn schiefgehen?
„Es könnte so ein Festival plötzlich doch gar nicht zustande kommen. Es könnte platzen. Da hätte der einzelne dann viel Aktivität in den Sand gesetzt.“
RADIO-KRETA: Blutvergiftung auf Kreta, sagtest Du vorhin. Noch mehr so Tod-und-Leben-Hängepartien?
„Ja; aber ganz, ganz anders. Als ich seinerzeit nach Griechenland trampte, ging es in einem Ort auf der Peloponnes einfach nicht mehr weiter. Es erschien kaum ein Auto. Und dann sagte mir ein Mensch, der an mir vorbei lief: Deutscher sei ich? Da solle ich hier besser sofort abhauen. Es könne jederzeit sein, dass ich mit einem Messer oder Klappmesser im Rücken Bekanntschaft machte.“
RADIO-KRETA: Na!
„Der Ort hieß und heißt Kalávryta. Im zweiten Weltkrieg, 1943, haben dort deutsche Wehrmachttruppen alle männlichen Bewohner ab Alter 15 ermordet. Ich hatte davon natürlich keine Ahnung gehabt. Es war eine Vergeltungsaktion wegen Partisanen-Umtrieben gewesen. Ein Massaker. Ich bin nicht mehr weitergetrampt, sondern bin dann eine Nacht in Kalávryta geblieben und mit der Schmalspurbahn am Morgen zurückgefahren. Übrigens war der ganze Abhang da, wo ich als Tramp stand, noch immer mit so Eisengestellen voll. Später erfuhr ich: das waren Maschinengewehrgestelle vom 2. Weltkrieg noch.“
RADIO-KRETA: Wie hat denn diese für Dich damals kaum kalkulierbare Situation hernach Deine Einstellung zu Griechen beeinflusst?
„Ich hab die Griechen sehr gut verstehen können. Aber mir war damals die nächste Stunde nicht so wohl. Hinterher am Ende der ganzen Tramperei war ich andrerseits aufgewühlt über die Gastfreundschaft der Griechen mir gegenüber. Ein einziges Detail: Ein LKW-Fahrer, mit dem ich spät abends trampte, sagte zuletzt, ich könnte die Nacht bei ihm unterkommen. Und zu Hause beförderte er seine Frau aus dem Bett, nur damit ich in einem Bett schlafen konnte. Griechische Auffassung von Gastfreundschaft. So was vergisst man ja nicht. Ich bin auch in Italien, in Frankreich, in Portugal, in Norwegen, in Island herumgetrampt. Da ist mir so viel Nettigkeit doch nicht widerfahren. Ich halt‘ das also für keinen Zufall mit den Griechen.“
RADIO-KRETA: Was wünschst Du Dir für die Zukunft Griechenlands im Allgemeinen und Kreta im Besonderen?
„Das ist ja ein großes Kapitel. Auf die Kürze nur so viel: Griechenland soll in der EU bleiben. Und, die griechische Bevölkerung darf nicht ausgesogen werden. Weder vom europäischen Ausland, und auch nicht von einigen inländischen Multimilliardären. Es dürfen auch nicht latent die Griechen weiter zur Kasse gebeten werden. Da ist ja schon wirklich genug passiert.“